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schafft und dann nach der Schweiz ausgetauscht.
Auf der Seereise wurde er in eine Ladeluke ge-
sperrt; eine Eisenplatte stellte sein Bett dar. An
Körpergewicht hat er 75 Pfund verloren!
Der Kriegsfreiwillige Herrmann hat seine
Erlebnisse ausführlich aufgezeichnet; seine Nieder-
schrift ist der Schrei eines todwunden Menschen.
„Für Recht und Menschlichkeit!“ So hallt es
täglich aus dem Lager der Entente. Wer aber
die heuchlerische Maske näher besieht, dem grinst
die Bestie entgegen.
Deutsch-Ostafrika verloren?
Von K. Roehl, Pastor und Missionar,
kürglich aus belg.-franz. Gefangenschaft ausgetauscht.
In diesen Tagen ging die englische Meldung
durch die Zeitungen, daß Deutsch-Ostafrika von
den Deutschen frei sei; Generalmajor v. Lettow-
Vorbeck sei mit dem Reste seiner Truppe auf
portugiesisches Gebiet übergetreten. Die Entente
wird sich das wieder als einen großen Sieg buchen
und in die neutrale Welt hinausschreien. Aber
für jeden Deutsch-Ostafrikaner ist jene Nachricht
ein Stich ins Herz. Da ist also der ganze, mehr
als dreijährige Heldenkampf mit seinen hier in
Europa gar nicht vorstellbaren Entbehrungen doch
vergeblich gewesen! All das edle Blut unserer
Landsleute ist doch umsonst geflossen! Auch Tau-
sende von Schwarzen haben ihr Leben für die
schwarz-weiß -rote Fahne zwecklos hingegeben!
Da haben also die ewigen Nörgler und Alltags-
propheten recht, an denen es bei Kriegsbeginn
auch in Ostafrika nicht gefehlt hat, die das alles
vorausgesehen und vorausgesagt haben, wie es
nun tatsächlich gekommen ist: „Deutsch-Ostafrika
ist verloren! Nein! und abermals nein!
Wenn man diesen überklugen Alleswissenden nach-
gegeben und nach ihrem Rate die Kolonie unter
englischen Schutz gestellt hätte, ja dann wäre
Ostafrika unwiederbringlich für uns dahin, dann
würde England mit Recht sagen: „Eure Kolonie
hat unsern Schutz erbeten, wir haben ihn gewährt
und wir werden ihn ihr nie wieder entziehen.“
Aber Deutschland muß und wird nicht nur eine
Großmacht, sondern auch eine Kolonialmacht
bleiben. Wie unserem Volke für Europa ein
Hindenburg, so ist ihm für Ostafrika ein Lettow
gegeben. Auch dieser war der rechte Mann zur
rechten Zeit am rechten Ort, für Deutschland ein
deutsches Kolonialland zu erkämpfen.
Aber wie? Der englische Bericht sagt doch, es
gäbe keinen Deutschen mehr auf ostafrikanischem
Boden? Zugegeben, daß der englische Patrouillen-
führer, der diese Tatsache festgestellt haben will,
tanen die Tränen in die Angen,
einmal nicht gelogen hat —, ist uns darum
Deutsch-Ostafrika verloren? Als vor reichlich
hundert Jahren der Korse in Tilsit den Frieden
diktieren konnte und ganz Deutschland beherrschte,
war Deutschland da verloren? Wir wissens:
„Das Volk stand auf, der Sturm brach losl!“
Die französische Herrschaft wurde weggefegt,
Deutschland blieb deutsch So wenig das deutsche
Volk damals französisch geworden war, so wenig
ist die Bevölkerung von Deutsch-Ostafrika
jetzt englisch oder gar belgisch geworden.
Während meiner Gefangenschaft in Frankreich
habe ich zwar in englischen und französischen
Blättern immer wieder lesen müssen, wie dankbar
der Ostafrikaner die Befreiung von deutschem Joch
begrüße. Aber ich weiß das besser. Ich habe
jetzt mehr als zwanzig Jahre in Deutsch-Ostafrika
zugebracht und in dieser Zeit nicht nur als ein
Fremder unter den Leuten gewohnt, sondern mit
ihnen gelebt, an ihren Freuden und Leiden teil-
genommen, habe ihr Fühlen und Denken dadurch
kennen und verstehen gelernt. Ich habe jetzt im
Kriege die strahlenden Augen unserer schwarzen
Verwundeten gesehen, wenn sie z. B. von ihrem
„bWana Tembahassi!“ (Hauptmann Wintgens)
sprachen. Wer Negerherzen versteht, dem leuchtete
aus diesem Glanz der Augen die Freude und der
Stolz darüber entgegen, daß sie unter solch einem
Führer in solch einer Truppe kämpfen durften.
Obgleich ich mit Hunderten von verwundeten
schwarzen Kriegern zu tun hatte, ist mir keiner
begegnet, der darüber gemurrt hätte, daß er für
die deutschen Herren zum Krüppel geworden sei.
Nicht anders empfand auch die Masse der übrigen
eingeborenen Bevölkerung.
Als ich im Mai 1916 im Auftrage des Militär-
befehlshabers von Ruan da dem Sultan Msinga
mitteilte, daß Ruanda von den deutschen Truppen
gegen die belgische Ubermacht nicht länger gehalten
werden könne, kamen diesem unumschränkten Herrn
über Leben und Tod seiner drei Millionen Unter-
und er hielt es
nicht unter seiner königlichen Würde, ihnen freien
Lauf zu lassen. Es war sicher das erste Mal,
daß er weinte, so lange er auf dem Thron von
Ruanda saß. Als ich selbst aus Ruanda fortging,
ließ ich den Eingeborenen, die mir Geld zur Auf-
bewahrung übergeben hatten, sagen, sie möchten
es sich jetzt holen. Sie kamen auch, ließen sich
das Geld auszahlen, aber dann gaben sie es mir
wieder zurück mit dem Bemerken: „Jetzt, bei dem
bevorstehenden belgischen Einbruch ist das Geld
bei Dir besser aufgehoben als bei uus. Du wirst
ja später sicher wiederkommen und dann wollen
wir uns unser Geld holen.“ Es waren viele
dabei, die mir ihr ganzes Barvermögen anver-
traut haben.