Full text: Deutsches Kolonialblatt. XXVIII. Jahrgang, 1917. (28)

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Ich werde mich heut Abend, lediglich mit Afrito# 
beschästigen, möchte jedoch ausdrücklich betonen, 
daß ich mit dieser Beschränkung auf Afrika die 
Bedentung unseres kolonialen Besitzes in der Süd- 
sce in keiner Weise herabmindern will. 
Meine Herren! Die Stellung Afrifas hat sich 
im Laufe der letzten Jahrzehnte in überraschender 
Weise in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht 
gewandelt. Afrika ist nicht mehr der schwarze 
Erdteil, nicht mehr der nnerforschte Kontinent 
mit einer verwirrenden Fülle von dunklen Mög- 
lichkeiten, sondern ist heut ein Vorland Europas, 
dessen Gegenwartswerte berechenbar sind. 
Afrika wird in der Entwicklung des Erdkreises 
eline Rolle von rasch wachsender Bedentung 
spielen. Der steigende Bedarf an Rohmaterialien, 
bald auch die Sorge um den Absatz von Fabri- 
katen. werden zu einem verstärkten Wettbewerb 
um die Erschließung der Hilfsquellen dieses Erd- 
teils führen. 
Die gegenwärtige Verteilung Afrikas unter 
die europäischen Kolonisationsstaaten ist das Pro- 
dukt einer relativ jungen Entwicklung, in der, 
neben autiquierten Herrschaftsansprüchen, mehr 
oder weniger zufällige Ereignisse die entscheidenden 
Faktoren gewesen sind. Wir erinnern uns, wie 
oft Kühnheit und politischer Instinkt einzelner 
unternehmungslustiger Männer durch den Ab- 
schluß geschickter Berträge mit eingeborenen Macht- 
habern ihren Heimatsstaaten einen Vorsprung im 
Wettlauf um den Besitz afrikanischer Gebiete ver- 
schafft haben. Von einem organischen Werden 
ist hier nie die Rede gewesen. Kein Wunder, 
daß diese Verteilung in weitem Umsange der 
inneren Berechtigung embehrt! Wir sehen 
Staaten im Besitz von riesigen Ländermassen, die 
das Achtzigfache des Mutterlandes erreichen und 
von ihnen aus Mangel an Menschen und an 
Mitteln gar nicht entwickelt werden können, 
wenigstens nicht so, wie die Kuliurmenschheit es 
erwarten muß. Belgien, Frankreich und Poringal 
sind in einer solchen Lage. England, das in 
anderen Erdteilen schon ungehenere Gebiete seinem 
Weltreich eingegliedert hatte, hat es verstanden, 
sich einen bedentenden, dem französischen Afrika 
nahekommenden Anteil auch an Afrika zu sichern. 
Auf der anderen Seite sehen wir Deutsche nus 
auf erheblich kteinere, verstreute Besitzungen 
. beschränkt. 
  
  
ganzen 
Wer einen danernden Frieden, 
wer einen Frieden der gerechten Zufrieden= 
stellung anstrebt, kann die Aufrechterhaltung der 
heutigen Besitzverteilung in Afrika nicht wollen, 
denn sie entspricht in keiner Weise weder dem 
kolonisatorischen Können noch dem-Kräfteverhällnis 
der beleiligten Nationen. 
Was soll an die Stelle der alten Verteilung 
treten? Soll etwa mit dem Selbstbestimmungs- 
recht der Völker auch in Afrika Ernst gemacht 
werden? Wollen wir es den Eingeborenen über- 
lassen, sich selbst zu organisieren? Das ist schlechter- 
dings unmöglich und wird als Ziel von keinem 
ernsthaften Politiker vertreten. Es hieße, die 
Eingeborenen grausam in die chaotischen Zustände 
zurückstoßen, in denen sie sich vor Einsetzen der 
modernen Kolonisation gegenseitig aufrieben. 
Vongewissen philanthropischen Kreisen Englands 
wird der Gedanke der vollständigen Internationali= 
sierung der Tropengebiete mit einer gemeinschaft- 
lichen Verwaltung der europäischen Schutzstaaten 
propagiert. Die schärfsten Gegner einer solchen 
Internationalisierung würden in England selbst 
erstehen. Aber, ganz abgesehen davon, eine der- 
artige Organisation läßt sich nur durchführen, 
wenn das Solidarilätsbewucßtsein der enropäischen 
Staaten siec trägt. Ein solches Solidaritätsbewußt- 
sein wird sicher als Sehnsucht aus den Trümmern 
dieses Krieges hervorgehen, ja auchin internationalen 
Abmachungen als eine Grundforderung des 
neuen Geistes festgelegt werden. Aber bevor 
man den heute kriegführenden Mächten, ja, dem 
heutigen Europa, jene ungehenure Auf- 
gabe zutrauen darf, überseeische Gebiete ein- 
trächtig und gemeinsam zu regieren, hat sich erst 
das internalionale Gewissen in internationaler 
Praxis in Europa zu entwickeln und zu be- 
währen. So wird man also festhalten müssen 
an dem bisherigen Grundsatz der Kolonisierung 
und der Verteilung der Tropen unter die zivili- 
sierten enropäischen Staaten. Es wird sich nur 
darum handeln können, im Friedensvertrage eine 
neue Verteilung voraunehmen. Und doch liegt 
in der Forderung einer internationalen Kontrollr, 
ja auch in der grotesken Forderung nach einem 
Selbstbestimmungsrecht der Eingeborenen ein ge- 
sunder Grundgedanke, ein Köruchen Wahrheit! 
Ich möchte das Wort „Selbstbestimmungerecht"
	        
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