98 8 10. Das Subjekt der Reichsgewalt.
Denn die deutschen Fürsten sind nicht für ihre Person, sondern nur
als Oberhäupter und Vertreter ihrer Staaten Mitträger der Reichs-
gewalt!. Wenn ein deutscher Landesherr abdankt oder sonst in recht-
licher Weise die Vertretung seines Staates verliert, so verliert er zu-
gleich den Anteil an der Reichsgewalt; im Falle einer Regentschaft ist
nicht der nominelle Monarch, sondern der Regent Mitsouverän des
Reiches'). Es kann im Deutschen Reiche keine Personalisten geben ?).
Das Deutsche Reich ist kein Fürstenbund, sondern ein aus den deut-
schen Staaten gebildeter Staat. Daß nach dem Eingange der Verfassung
die Fürsten den Bund geschlossen haben, ist ein Einwand, der kaum
ernsthaft erhoben werden kann; denn bei Errichtung des Norddeut-
schen Bundes und des Deutschen Reiches handelten die deutschen
Souveräne nicht als Privatpersonen, sondern als Staatsoberhäupter,
und die deutschen Staaten wurden, wie es in Monarchien nicht anders
sein kann, durch ihre Landesherren vertreten. Sollte in irgend
einem deutschen Staate einmal eine Aenderung der Verfassungsform
eintreten, so bleibt der Staat mitberechtigt an der Reichsgewalt, wenn-
gleich er keinen Fürsten mehr hat, und sollten zwei deutsche Staaten
in einer Personalunion verbunden werden, so bleibt für jeden der
Mitanteil an der Reichsgewalt gewahrt und unverändert, wenngleich sie
beide nur einen Fürsten, d.h. nur einen identischen Vertreter, haben.
Aus dem Grundsatz, daß der Einzelstaat als Mitglied des
Reichs mitberechtigt an der Reichsgewalt ist, ergibt sich ferner, daß
die Ausübung dieser Mitgliedschaft eine Lebenstätigkeit des Staates ist,
die im innigsten Zusammenhange mit den übrigen Betätigungen des
staatlichen Lebens steht und daß der Landesherr bei der Ausübung
dieser Seite des staatlichen Handelns keine andere Stellung hat, als sie
ihm das öffentliche Recht seines Staates überhaupt anweist. Die Aus-
übung der Mitgliedschaft am Reich, die sich namentlich, wenngleich
nicht ausschließlich, in der Instruktion der Vertreter des Staates im
Bundesrat betätigt, kann daher nicht getrennt oder losgelöst werden
von der Regierung des Staates; sie ist keine persönliche Prärogative
des Landesherrn, hinsichtlich deren er freier gestellt oder willkürlicher
die Bundesfürsten und die Senate der drei Hansestädte zu verstehen seien. (Vgl. je-
doch denselben im Jahrtb. I, S. 21, Note 3.) Ebenso sagt Meyer, Norddeut-
sches Bundesrecht S. 65, Note 1, die preußischen Vertreter im Bundesrate seien „keine
Vertreter des Staates Preußen, sondern des Königs von Preußen“ (\). Vgl. auch
dessen Staatsrecht $ 123. Auch Seydel S. 132 und im Jahrb. von Holtzendorff-
Brentano Bd. 3, S. 273 ist dieser Ansicht. Die Reichsverfassung nennt aber im Art. 6
als Mitglieder des Bundes die Staaten, und es ist nicht einzusehen, warum „die
Bedeutung dieses Ausdruckes nur aus dem Eingange der norddeutschen und der
Reichsverfassung gefunden werden kann.“ Richtig und treffend v. Held S. 103, 104.
Vgl. auch Zorn LS. 90. Rehm, Allg. Staatsl. S. 135; Anschütz S. 540.
1) Selbstverständlich übt der Regent auch diese Rechte des Staates im Namen
des nominellen Monarchen aus. Vgl. Triepel, Interregnum S. 100, Note 2.
2) Vgl. v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 10.