100 8 10. Das Subjekt der Reichsgewalt.
Man hat dies mehrfach mißverstanden und dann infolge dieses
Mißverständnisses den Rechtssatz selbst verworfen.
Zunächst handelt es sich nicht um die Rechtsgültigkeit der
im Bundesrat abgegebenen Abstimmung. Der Landesherr ist nach
dem Staatsrecht der Monarchie der alleinige und ausschließlich befugte
Vertreter des Staates Dritten gegenüber. Die gültige Abgabe einer
Stimme im Bundesrat hat keine andere Voraussetzung, als die formell
ordnungsmäßige Legitimation des Bevollmächtigten, welche demselben
von dem Landesherrn bezw. von dem Minister desselben erteilt wird.
Ganz unberührt von der ausschließlichen Befugnis des Landesherrn,
den Bevollmächtigten im Bundasrat zu ernennen und mit einer Legi-
timation zu versehen, und von der rechtlichen Wirkung der von einem
gehörig legitimierten Bevollmächtigten abgegebenen Stimme bleibt die
Frage, nach welchen staatsrechtlichen Grundsätzen die Instruktion
des Bevollmächtigten zu beurteilen ist!)
Die Verantwortlichkeit bezieht sich ferner nicht auf die Be-
schlüsse des Bundesrats?), noch viel weniger auf Reichsgesetze, bei
denen der Bundesrat überdies durch die Zustimmung des Reichstages
gedeckt ist. Der Einzelstaat steht unter dem Reich; weder hat die
Einzelregierung den Beruf und die Verpflichtung, die Regierungshand-
lungen des Reiches zu rechtfertigen und zu verantworten, noch hat
der Einzellandtag die Berechtigung, eine solche Rechtfertigung und
Verantwortung zu fordern. Eine parlamentarische Verantwortlich-
keit besteht für die Reichsregierung einzig und allein dem Reichstage
gegenüber.
Es handelt sich vielmehr lediglich um die Verantwortung für Re-
gierungshandlungen des Einzelstaates, d.h. um die
Verantwortung für die Instruktionserteilung an die Vertreter des Staates
im Bundesrat, resp. für die Unterlassung einer Instruktionserteilung,
wo eine solche durch das Interesse des Einzelstaates geboten gewesen
wäre. Ob eine derartige Regierungshandlung oder Unterlassung über-
haupt geeignet ist, eine juristische Verantwortlichkeit zu begrün-
den, ist ausschließlich nach dem Staatsrecht, insbesondere nach dem
Ministerverantwortlichkeitsgesetz des einzelnen Staates zu entscheiden ?).
1) Vgl. unten 8 28.
2) Auf diesem Mißverständnis beruhen die Ausführungen von Hiersemenzelll,
S. 300; Thudichum a.a. 0. S. 117, und v. Treitschke in den Preußischen
Jahrb. Bd. 34, S. 538.
3) Vgl. auch v. Mohl S. 64 fg. Wo eine Ministeranklage gestattet ist wegen
Handlungen, welche dem Landeswohl nachteilig sind, kann sehr wohl auch das Ver-
halten der Landesregierung im Bundesrat den Grund einer solchen Anklage abgeben;
ebenso die Tatsache, daß eine Regierung lange Zeit hindurch die Ernennung eines
Vertreters im Bundesrat unterlassen hat. So gestattet dass badische Gesetz
über die Verantwortung der Minister vom 20. Februar 1868, $ 67a die Ministeran-
klage „wegen schwerer Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates“. Hin-
sichtlich Bayerns vgl. Seydel, Bayer. Staatsrecht Bd. 1, S. 517 ff., hinsichtlich
Württembergsv.Sarweya.a.O0.