8 15. Die Pflichten der Reichsangehörigen. 141
1. Die Gehorsamspflicht.
Das Wesen der Zugehörigkeit zu einem staatlichen Organismus
besteht in der Untertanenschaft, d. h. in der Unterwerfung unter die
obrigkeitliche Herrschermacht. Der Bürger ist als einzelner Objekt
der obrigkeitlichen Rechte des Staates; die Herrschermacht des Staates
richtet sich gegen ihn und verpflichtet ihn zu Handlungen, Leistungen
und Unterlassungen behufs Durchführung der dem Staate obliegenden
Aufgaben?!). Der Angehörige eines deutschen Staates ist nun der Staats-
gewalt seines Staates und mit diesem Staat der darüber stehenden
souveränen Gewalt des Reiches untertan. Daraus ergibt sich, daß der
Inhalt des Staatsbürgerrechts und der des Reichs-
bürgerrechtssich zu einander ganz so verhalten, wie
die Kompetenz der Staatsgewaltzu der des Reiches.
Soweit das Reich seine eigene Kompetenz beschränkt und die einzelnen
Staaten eine selbständige Lebenstätigkeit entfalten läßt, beschränkt das
Reich auch das Maß seiner obrigkeitlichen Herrscherrechte und läßt
die Einzelstaaten in deren Besitz; in demselben Umfange ist daher der
einzelne Objekt der Territorialstaatsgewalt, Landesuntertan, Staats-
bürger. In allen Beziehungen dagegen, in denen das Reich seine staat-
liche Macht entfaltet, obrigkeitliche Herrschaftsrechte ausübt, ist der
einzelne das Objekt der Reichsgewalt, sei es nun, daß das Reich seine
Gewalt unmittelbar oder durch Vermittlung und Verwendung der
Staatsgewalt des Einzelstaates zur Geltung bringt. Die Reichsangehörig-
keit ist wesentlich Reichsuntertanenschaft, d. h. die Pflicht, den Ge-
boten und Verboten der Reichsgewalt, welche in gesetzlicher, dem
Recht entsprechender Weise erlassen werden, Gehorsam zu leisten.
Da nun die Kompetenz des Reiches und die der Einzelstaaten vielfach
ineinander geschlungen sind und die letzeren auch auf den dem Reich
zugewiesenen Gebieten des Staatslebens regelmäßig Selbstverwaltung
haben, so läßt sich die in der Reichsuntertanenschaft liegende Gehor-
samspflicht nicht von der in der Landesangehörigkeit begründeten
äußerlich abgrenzen. Wer einem strafrichterlichen Erkenntnis oder
der Verfügung einer Zollbehörde nachkommt, wer den Anordnungen
der Militärbehörde gemäß sich zur Aushebung gestellt u. s. w., der
leistet gleichzeitig dem Reich Gehorsam, welches die Straf-, Zoll-
1) Diese Auffassung und juristische Formulierung des Verhältnisses der Staats-
gewalt zur Person des Staatsbürgers ist mit voller Klarheit hingestellt worden von
v. Gerber, Grundzüge $ 15—17. Sie hat mehrfachen Widerspruch erfahren in der
Tübinger Zeitschriftf. d. ges. Staatsw. Bd. 22, S. 434, in Haimerls Oesterr.
Vierteljahresschr. Bd. 17 (Literaturbl. S. 19 ff), und namentlich von Schulze in
Aegidis Zeitschr. I, S. 424ff. Hierauf hat v. Gerber in der zweiten Auflage
S. 222 ff. (Beilage II) so meisterhaft repliziert, daß es genügt, auf diese Ausführungen
hinzuweisen. Die Analogie auf privatrechtlichem Gebiete darf allerdings nicht in den
Instituten des Sachenrechts, sondern nur in den Gewaltverhältnissen des Fa-
milienrechts gesucht werden.