144 8 15. Die Pflichten der Reichsangehörigen.
gleicher Weise wie die Beleidigung des eigenen Landesherrn eine Ver-
letzung der mit der Untertanentreue verbundenen Pietätspflicht.
Dagegen fehlt es an dieser subjektiven Treuverpflichtung im Ver-
hältnis zu den anderen Einzelstaaten und ihren Landesherren.
Damit ist natürlich nicht gesagt, daß eine solche Handlung straflos
bleiben müsse. Es ergibt sich vielmehr aus dem freundschaftlichen
Verhältnis der Staaten, aus der Solidarität ihrer Interessen und der
sogenannten comitas nationum, daß feindliche Handlungen gegen »be-
freundete« Staaten und Beleidigungen ihrer Souveräne unter der Be-
dingung der Reziprozität bestraft werden. Schon dieses Prinzip würde
genügen, um feindliche Handlungen gegen irgend einen Bundesstaat
und Beleidigung irgend eines Bundesfürsten unter Strafe zu stellen.
Die bundesstaatliche Einigung derselben hat aber noch weitergehende
Folgen. Die übrigen Gliedstaaten außer demjenigen, welchem der
Täter angehört, sind mehr als befreundete Staaten, sie sind verbündete,
d. h. Teile des gesamtstaatlichen Organismus!) Daraus folgt zunächst
derWegfallder Bedingung derReziprozität. Durch das
gemeine Strafgesetz, welches allgemein die feindliche Haltung gegen
jeden zum Bunde gehörenden Staat und die Beleidigung der Bundes-
fürsten mit Strafe bedroht, ist diese Bedingung von selbst erfüllt. Ueber-
dies rechtfertigt sich aber auch eine höhere Normierung des Straf-
maßes durch das enge staatsrechtliche und nationale Band, welches
die Gliedstaaten umschlingt, durch die höhere Gemeinsamkeit der In-
teressen, welche unter ihnen besteht, durch die größere Entwicklung
des Verkehrs unter ihren Angehörigen und durch den Anteil, welchen
die Landesherren aller einzelnen Staaten an der Reichsgewalt haben’).
Es ergibt sich daher hinsichtlich der Untertanen des Reiches eine
dreifache Abstufung des Verbrechensbegriffs nach Maßgabe der Staats-
angehörigkeit:
a) Der eigentliche Hoch- und Landesverrat und die eigentliche
Majestätsbeleidigung richtet sich entweder gegen das Reich und
dessen Oberhaupt oder gegen den eigenen Staat und dessen
Landesherrn 3). Gleichgestellt ist der Staat und dessen Landes-
herr, in dessen Gebiet man sich unter dem Schutze desselben
aufhält. (Siehe unten $ 23, III.)
1) Vgl.Schwarze, Kommentar zum Strafgesetzbuch, allgemeine Bemerkungen
zu 8$ 80-93; Johna.a O. IH, 1, 8.5.
2) Eine völlige Gleichstellung des Hoch- und Landesverrates gegen den eigenen
Staat mit dem (Quasi)-Hoch- und Landesverrat gegen einen anderen deutschen Staat
ist dadurch aber noch nicht geboten. Was John a.a.0.8.7ff. und Zorn ], S. 376 fg.
in dieser Richtung ausführen, ist von der Idee des Einheitsstaates, nicht der des Bun-
desstaates, beherrscht. Andererseits geht Knitschky a.a.0.S. 127, 128 ganz fehl,
wenn er meint, daß das Verhältnis zwischen den einzelnen Gliedern des Reiches nur
als ein völkerrechtliches aufgefaßt werden kann.
3) Ist jemand, was häufig der Fall ist, mehreren deutschen Staaten angehörig,
so ist jeder dieser Staaten sein „eigener“ Staat und jeder dieser Landesherren „sein“
Landesherr. Siehe Falckea a. O. S. 28ff.