Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

168 8 18. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. 
oder verheiratet gewesen sind, selbst wenn sie noch unter elterlicher 
Gewalt stehen. Die Regel des $ 11 ist aber nur von dispositiver Kraft; 
die Kontrahenten können sie durch eine entgegenstehende Verein- 
barung ausschließen; sei es, daß der Ehemann oder Vater die Staats- 
angehörigkeit nicht für alle seiner Gewalt unterworfenen Angehörigen 
erwerben will, sei es, daß die Verwaltungsbehörde sie nicht allen er- 
teilen will?). 
Abgesehen von diesen allgemeinen Regeln sind die Voraussetzungen 
der Verleihung verschieden, je nachdem ein Angehöriger eines deut- 
schen Bundesstaates oder ein Ausländer sie verlangt. Diese Ver- 
schiedenheit hat ihren Ausdruck auch in der technischen Bezeichnung 
gefunden, indem das Gesetz die Verleihung im ersten Falle Auf- 
nahme, im zweiten Falle Naturalisation nennt. 
1. Die Aufnahme eines Deutschen setzt außer dem Gesuche 
um Erteilung und dem Nachweise, daß er einem deutschen Bundes- 
staate angehöre ?), also reichsangehörig sei, nur voraus den Nachweis, 
daß er in dem Bundesstaate, in welchem er die Aufnahme nach- 
sucht, sich niedergelassen habe (Gesetz $ 7)3). 
Unter der Niederlassung ist nach der feststehenden Terminologie 
der Reichsgesetzgebung die Begründung eines Wohnsitzes (Domizils) 
im Gegensatz zum bloßen Aufenthalt zu verstehen. So zweifellos es 
nun ist, daß ein bereits begründeter Wohnsitz trotz des Aufenthalts 
an anderen Orten fortbestehen kann, Wohnsitz und Aufenthaltsort 
1) 8 11. „Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich, insofern 
nichtdabeieine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und 
auf diejenigen minderjährigen Kinder etc.“. Es ergibt sich aus der Zweiseitig- 
keit des Rechtsgeschäfts und bestätigt diese, daß sowohl der Nachsuchende als 
die Staatsbehörde berechtigt sind, solche Vorbehalte zu machen. Der Nachsuchende 
braucht sich nicht gefallen zu lassen, daß er ohne seine Ehefrau und Kinder natura- 
lisiert wird, und andererseits kann die Staatsbehörde das Gesuch abweisen, wenn der 
Antragsteller nicht den Vorbehalt gestatten will. Es ist also wie bei anderen Ver- 
trägen eine Willenseinigung und ausdrückliche Erklärung erforderlich, wenn die 
Parteien Festsetzungen treffen, welche von den dispositiven Rechtsvorschriften ab- 
weichen. Mit Recht führt Sartorius S.56 aus, daß dies nur von der Naturalisation 
gilt; denn da die Aufnahme nur unter den gesetzlich festgestellten Voraussetzungen 
versagt werden darf, so kann sie nicht von der Verwaltungsbehörde an andere Be- 
dingungen geknüpft werden. 
2) Gesetz über Freizügigkeit vom 1. November 1867, 8 2. 
3) Die Frage, ob die Niederlassung conditio sine qua non für die Verleihung ist 
oder ob sie nur eine Voraussetzung des Anspruchs auf Aufnahme bildet, so daß 
es den Einzelstaaten unbenommen ist, die Aufnahme auch an Deutsche, welche sich 
nicht im Staatsgebiete niederlassen, auf ihren Antrag zu erteilen, ist nach dem Wort- 
laut des Gesetzes zweifelhaft. In der ersten Auflage ist die Aufnahme ohne Nieder- 
lassung für unzulässig erklärt worden, die Ausführungen von Seydel, Hirths Anna- 
len 1883, S. 585 fg. und Bayer. Staatsrecht I, S. 277, Note 33 haben mich jedoch von 
der Richtigkeit der entgegengesetzten Ansicht überzeugt, der auch Meyer 8 76, 
Note 16, Zorn ]J S. 266, v. SarweyJ],S. 162, Stoerk $ 118, Note 2, Cahn 8.55 
zustimmen. Tatsächlich werden die Einzelstaaten freilich von dieser Befugnis wohl 
nicht leicht Gebrauch machen.
	        
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