178 8 19. Der Verlust der Staatsangehörigkeit.
als Nichtgebrauch, oder richtiger, da die Staatsangehörigkeit ein Zu-
stand ist (siehe oben S. 140), auf welchen der Begriff des Gebrauchs
unanwendbar ist, als tatsächliche Entfremdung. Ganz unrichtig
ist die vielfach vertretene Meinung, den Gesichtspunkt eines Ver-
zichts auf die Staatsangehörigkeit einzumengen. Die Staatsangehörig-
keit ist kein subjektives Recht, sondern ein Status, dessen Voraus-
setzungen das objektive Recht festsetz. Man kann auf die Reichs-
angehörigkeit ebensowenig verzichten wie auf die Großjährigkeit,
Geschäftsfähigkeit, Ehemündigkeit u. s. w. Dagegen erfordert die Er-
haltung der Staatsangehörigkeit gegen den gesetzlichen Erlöschungs-
grund der zehnjährigen Abwesenheit eine positive Willensbetätigung.
Solange der Abwesende seine Staatsangehörigkeit manifestiert, tritt der
Erlöschungsgrund nicht ein; daher beginnt die Frist, wenn der Aus-
tretende sich im Besitze eines Reisepapiers oder eines Heimatsscheines
befindet, erst mit dem Ablauf dieser Papiere '); sie wird unterbrochen,
wenn sich der Abwesende in die Matrikel eines Bundeskonsulats ein-
tragen läßt, und ihr Lauf beginnt von neuem erst mit dem auf die
Löschung in der Matrikel folgenden Tage ($ 21, Abs. 1)?). Der Verlust
der Staatsangehörigkeit erstreckt sich natürlich nicht mit auf die Ehe-
frau und die unter väterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder
des Abwesenden, wenn die letzteren im Bundesgebiet zurückgeblieben
sind. Das Gesetz $ 21, Abs. 2 aber sagt: »der Verlust erstreckt sich
zugleich auf die Ehefrau und auf diejenigen Kinder, deren gesetzliche
Vertretung dem Ausgetretenen kraft elterlicher Gewalt zusteht (aus-
genommen Töchter, die verheiratet sind oder verheiratet gewesen sind),
soweitsich die Ehefrau oder die Kinder bei dem Aus-
getretenen befinden. Esist nicht erforderlich, daß sie während
der ganzen zehnjähigen Frist sich bei dem Ausgetretenen befinden,
lasse sind mitgeteilt bei Reger, Entsch. Bd.3, S. 71, Bd.4, S. 92, vgl. auch daselbst
S. 851. Hiernach soll die Zeit der Minderjährigkeit bezw. des Irrsinns in die zehn-
jährige Frist nicht eingerechnet werden. Die Unrichtigkeit dieser Auslegung ist in
sehr treffender Weise dargetan worden von Seydel, Annalen 1883, S. 582; Bayer.
Staatsrecht I, S. 289 fg. Der hier vertretenen Ansicht sind auch v. Sarwey],
S. 172; Bornhak, Preuß. Staatsrecht I, S. 266; Meyer $S77, Note 27 und Sar-
torius S. 89 ff. beigetreten. Auch das Reichsgericht hat sie konstant fest-
gehalten. Urteil vom 4. Februar 1895 bei Reger Bd. 15, S. 201 ff. und vom 28. No-
vember 1895, daselbst Bd. 16, S. 309; ferner Bd. 18, S. 263 fg., 380 fg., 474. Gegen
diese Ansicht hat sich Cahn S. 146 ff. ausgesprochen. (Seine Ausführungen sind
auch in der Zeitschr. f. internationales Privat- und Strafrecht Bd. 5, 8.536 abgedruckt.)
1) Durch Beschluß des Bundesrates vom 20. Januar 1881 ist das Formular für
die Heimatsscheine festgestellt und die Gültigkeitsdauer derselben auf läng-
stens fünf Jahre normiert worden (Zentralblatt des Deutschen Reichs 1881,
S. 22). Ueber den Begriff des Reisepapiers vgl. Reger Bd. 11, S. 422 fg.
2) Vgl. Konsulatsgesetz vom 8. November 1867, 8$ 12 (Reichsgesetzbl. S. 139).
Daß Beamte, welche ihren dienstlichen Wohnsitz im Auslande haben, nicht
durch zehnjährigen Aufenthalt daselbst ihre Staatsangehörigkeit verlieren, ergibt sich
aus der Natur dieses Erlöschungsgrundes. Vgl. den sächs. Ministerialerlaß von 1883
beiReger Bd. 4, S. 9.