Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 13 
preußischen Vertreter bei den deutschen Regierungen '!), in welchen er 
nochmals betonte, daß die Bestimmung des Termins der Parlaments- 
eröffnung vor Beginn der Regierungsverhandlungen über die Reform- 
vorlagen der Kern des Antrages vom 9. April sei. »Mit der Ablehnung 
dieser Frage wäre die ernstliche Behandlung der Bundesreform 
überhaupt tatsächlich abgelehnt.« 
Als die Bundesreform-Kommission ihre Beratungen am 11. Mai 1866 
begann, skizzierte der preußische Gesandte die Reformpläne seiner 
Regierung näher, indem er acht Punkte formulierte?) Sie betrafen 
die Einfügung einer periodisch einzuberufenden Nationalvertretung in 
den Bundesorganismus mit der Wirkung, daß die bisher erforderliche 
Stimmeneinheit der Bundesglieder durch Beschlußfassung der National- 
vertretung auf speziell bezeichneten Gebieten der künftigen Bundes- 
gesetzgebung ersetzt werden solle (Nr. a); ferner die Feststellung der 
Kompetenz (Nr. b bis e); endlich Organisation des Konsulatwesens, 
Gründung einer deutschen Kriegsmarine und Revision der Bundes- 
kriegsverfassung (Nr. f bis h). Diese preußischen Vorschläge sind dar- 
um von höchster Bedeutung, weil sie die Grundlinien der späteren 
Verfassung enthalten und gewissermaßen die rechtsgeschichtliche Brücke 
zwischen der alten Bundesverfassung und der neuen Bundesstaatsver- 
fassung bilden. Es war zum ersten Male, daß die Umrisse des neü 
zu schaffienden Baues deutlich entgegentraten. 
Es war zugleich zum letzten Male, daß eine Bundesreform 
angestrebt wurde. Zwischen den preußischen Vorschlägen vom 11. Mai 
1866 und den alsbald zu erwähnenden vom 10. Juni 1866 liegt eine 
staatsrechtlich überaus bedeutsame Kluft. Die ersteren haben die 
Fortdauer des Bundes, die letzteren seine Auflösung zur Vor- 
aussetzung; wären die Reformvorschläge vom 11. Mai von Erfolg ge- 
wesen, so bestünde zwischen dem alten Bunde und dem heutigen 
Verfassungszustande rechtliche Kontinuität; die Ereignisse 
vom 14. Juni 1866 haben dieselbe zerstört; der Bund wurde vernichtet, 
nicht reformiert; und es mußte erst wieder die Grundlage zu einem 
staatsrechtlichen Neubau geschaffen werden. 
Unmittelbar vor der Katastrophe, am 10. Juni 1866, richtete Fürst 
Bismarck an die deutschen Regierungen eine Zirkulardepesche°), in 
welcher er ihnen »Grundzüge zueinerneuen Bundesver- 
fassung« zur Erwägung mitteilte und sie ersuchte, sich zugleich über 
die Frage schlüssig machen zu wollen, 
»ob sie eventuell, wenn in der Zwischenzeit bei der 
drohenden Kriegsgefahr die bisherigen Bundes- 
verhältnisse sich lösen sollten, einem auf der Basis 
dieser Modifikationen des alten Bundesvertrages neu zu er- 
richtenden Bunde beizutreten geneigt sein würden.« 
1) Bei Hahn 8.67. 2) Hahn S. 69; Klüpfel II, S. 31. 
3) Hahn S. 123. 
 
	        
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