Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

242 8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 
übertragenen Funktionen auch auszuüben !). 
Hinsichtlich des Bundesrates ist es in der Reichsverfassung aus- 
drücklich anerkannt, daß es von dem freien, nur durch politische 
Rücksichten bestimmten Willensentschluß der Einzelstaten abhängig 
ist, ob sie ihre Mitgliedschaftsrechte im Bundesrate ausüben wollen 
oder nicht. Denn Art. 7 sagt in Beziehung auf die Beschlußfassung 
des Bundesrates: 
»Nichtvertreteneodernichtinstruierte Stim- 
men werden nicht gezählt.« 
Hier ist ausdrücklich die Möglichkeit hingestellt, daß ein Staat 
entweder gar nicht sich vertreten läßt oder daß er seinen Vertreter im 
einzelnen Falle nicht instruiert, also sein Stimmrecht nicht ausübt. 
Es ist auch die Rechtsfolge eines solchen Verhaltens bestimmt nor- 
miert. Sie besteht nicht darin, daß der Einzelstaat vom Reiche ange- 
halten werden könnte, seine Stimme abzugeben; sondern darin, daß 
der Staat, welcher auf die Ausübung seines Stimmrechts verzichtet, 
bei der Beschlußfassung des Bundesrats unberücksichtigt bleibt?). Im 
Zusammenhange damit steht der Grundsatz, daß zur Beschluß- 
fähigkeit des Bundesrates keine bestimmte Anzahl von Stimmen 
erforderlich ist?). Damit entfällt das rechtliche Interesse des 
Reiches daran, daß die Einzelstaaten von ihren Mitgliedschaftsrechten 
im Bundesrat Gebrauch machen. Der Bundesrat, als ein unentbehr- 
liches Organ des Reiches, dessen Funktionen es nicht missen kann, 
wird in seiner Tätigkeit dadurch nicht gehemmt, daß ein oder einzelne 
Bundesglieder ihr Stimmrecht nicht ausüben. 
2. Die Teilnahme an dem Bundesrat wird seitens der Einzelstaa- 
ten ausgeübt durch Geschäftsträger, welche die Reichsverfassung in 
demselben Art. 6 als »Vertreter« und »Bevollmächtigte« bezeichnet‘). 
1) Es ist zwar zuzugeben, daß, wenn alle einzelnen Bundesstaaten ihre Tätigkeit 
im Bundesrat und alle einzelnen Abgeordneten ihre Tätigkeit im Reichstage einstellen 
würden, auch Bundesrat und Reichstag als Ganzes nicht mehr in Funktion treten 
könnten; ein solcher Fall setzt aber eine solche Erschütterung der tatsächlichen 
Grundlagen, auf denen die Reichsverfassung beruht, voraus, daß die Verfassung selbst 
nicht mehr fortdauern könnte; es ist daher begreiflich, daß sie für diesen Fall keine 
Rechtsnormen enthält. 
2) Auch Fürst Bismarck hat bei der Verhandlung über den Waldeckschen 
Akzessionsvertrag im Preuß. Abgeordnetenhause am 11. Dezember 1867 (Stenogr. 
Berichte I, S. 341) anerkannt, daß es dem Fürsten von Waldeck völlig frei stehe, die 
ihm zustehende Stimme im Bundesrat ruhen zu lassen. Uebereinstimmend Sey- 
del, Kommentar S. 135 und G. Meyer 8 123, Note 8. Anderer Ansicht Zorn], 
S. 157, der im Widerspruch mit der Reichsverfassung sogar eine Exekution gegen 
die Einzelstaaten „bei dauernder Fernhaltung vom Bundesrate“ für zulässig erklärt. 
3) In der Reichsverfassung dadurch anerkannt, daß im Gegensatz zu den Be- 
stimmungen über den Reichstag für die Bundesratsbeschlüsse kein Minimum der 
Stimmenzahl angeordnetist. v. Rönne I, S. 204; Westerkamp 8.100; Seydel 
S. 135; Anschütz S. 544; MeyerS 124. 
4) Aloys Vogels, Die staatsr. Stellung der Bundesratsbevollmächtigten. Tüb. 
1911 (während des Drucks erschienen).
	        
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