Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

244 8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 
c) Aus der Stellung, welche den Bundesratsbevollmächtigten zu- 
kommt, ergibt sich ferner der im Art. 9 der Verfassung ausgesprochene 
Satz, daß Niemand gleichzeitig Mitglied des Bundesrates und des 
Reichstages sein kann. Denn derjenige, welcher beiden Körperschaften 
angehört, müßte als Mitglied des Bundesrates nach der ihm erteilten 
Instruktion, als Mitglied des Reichstages nach freier persönlicher Ueber- 
zeugung stimmen. Es könnte daher jemand, der beiden Körper- 
schaften angehört, in die Lage kommen, im Reichstage diejenige 
Maßregel zu bekämpfen, welcher er im Bundesrate zugestimmt hat, und 
umgekehrt. 
Dagegen steht es jedem Mitgliede des Bundesrates frei, im Reichs- 
tage die Ansichten seiner Regierung zu vertreten, und zwar 
auch dann, wenn dieselben von der Majorität des Bundesrates nicht 
adoptiert worden sind. Reichsverfassung Art. 9'). 
d) Die Mitglieder des Bundesrates sind nicht Beamte des Reiches. 
Sie beziehen aus Reichsmitteln keinen Gehalt; sie sind nicht der Dis- 
ziplinargewalt des Reiches unterworfen; sie können für ihre Abstim- 
mungen und ihre anderweitige Tätigkeit im Bundesrate weder vom 
Bundesrate selbst noch vom Kaiser oder vom Reichstage in irgend 
einer Form zur Rechenschaft gezogen werden. sie sind vielmehr be- 
vollmächtigte Geschäftsträger der Einzelstaaten. Eine indirekte An- 
erkennung hat dieser, aus der Natur des Bundesrates sich ergebende 
Satz in der Reichsverfassung Art. 10 gefunden: 
»Dem Kaiser liegt es ob, den Mitgliedern des Bundesrates 
den üblichen diplomatischen Schutz zu gewähren.« 
Dies will sagen, daß die nichtpreußischen Bundesratsbe- 
vollmächtigten so angesehen werden sollen, als wären sie beim Könige 
von Preußen akkreditierte diplomatische Geschäftsträger der übrigen 
Bundesstaaten. 
Dadurch ist ihnen und dem zu ihrer Hilfe ihnen beigegebenen 
Personal, soweit sie nicht preußische Staatsangehörige sind, die Ex- 
territorialität der preußischen (Landes-) Staatsgewalt gegenüber gewähr- 
leistet?) und ihnen der Genuß derjenigen Vorrechte zugesichert, welche 
nach der Uebung des Völkerrechts diplomatischen Geschäftsträgern 
zukommen’). Zur Vernehmung als Zeugen oder Sachverständige 
1) Tatsächlich kommt es nicht leicht vor, dafß ein Bundesratsbevollmächtigter 
im Reichstag einen Bundesratsbeschluß bekämpft; er könnte dies in jedem Falle nur 
im Auftrage seiner Regierung tun. 
2) Was infolge der Reichsangehörigkeit von geringer praktischer Bedeutung ist, 
abgesehen von der Exemtion von direkten Steuern. Den „üblichen diplomatischen 
Schutz“ gewährt daher streng genommen nicht der Kaiser, sondern der König von 
Preußen; die Fassung des Art. 10 ist nicht ganz korrekt. Der ganze Artikel beruht 
auf der oben S. 235 dargelegten Tendenz des ursprünglichen Verfassungsentwurfs. 
3) Thudichum, Verfassungsrecht S. 106; Seydel, Kommentar S. 153 und 
Jahrbuch S. 280; v. Mohl S.276; Meyer 8126; Triepel, Völkerrecht u. Landes- 
recht, 1899, S. 209.
	        
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