8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 251
um das Interesse des Reiches als eines Ganzen, nicht um das zufällig
gemeinsame Interesse einiger Bundesglieder.
Dieses Prinzip erleidet jedoch eine Modifikation infolge der den
süddeutschen Staaten zugestandenen Sonderrechte. Insoweit das Reich
von der Ausübung einzelner Hoheitsrechte in den süddeutschen Staa-
ten ausgeschlossen ist, sind auch die süddeutschen Staaten von der
Teilnahme an dieser Ausübung ausgeschlossen. Die Beschränkung der
Reichsgewalt einzelnen Mitgliedern gegenüber hat ihr Korrelat in der
Beschränkung des Anteils dieser Mitglieder an der Reichsgewalt. Die
Reichsverfassung gibt diesem Gedanken in Art. 7, Abs. 4 einen Aus-
druck durch die Bestimmung:
»Bei der Beschlußfassung über eine Angelegenheit, welche
nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht dem ganzen
Reiche gemeinschaftlich ist, werden die Stimmen nur derjeni-
gen Bundesstaaten gezählt, welchen die Angelegenheit gemein-
schaftlich ist«!).
Die Beschränkung des Stimmrechts tritt nach dem klaren Wort-
laut dieser Bestimmung nur ein bei denjenigen Angelegenheiten, welche
nach der Verfassung nicht gemeinschaftlich sind; dagegen nicht
bei Bundesratsbeschlüssen, welche sich tatsächlich nur auf einen Teil
des Bundesgebietes oder der Bundesmitglieder beschränken, oder
welche sich auf Reichsgesetze beziehen, welche nicht für das ganze
Bundesgebiet erlassen worden sind ?).
Ausgeschlossen ist demgemäß das Stimmrecht Bayerns,
Württembergs und Badens in den die Biersteuer betreffenden Ange-
legenheiten (Reichsverfassung Art. 35, 38), das Stimmrecht Bayerns und
Württembergs in denjenigen Angelegenheiten, welche die Verwal-
tung der Reichspost und Telegraphenanstalt betreffen (Reichsverfas-
sung Art. 52), das Stimmrecht Bayerns in Angelegenheiten, welche die
Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches über die Heimats- und
Niederlassungsverhältnisse angehen (Reichsverfassung Art. 4, Nr. 1),
und welche zu den dem Reiche in Art. 42—46, Abs. 1 der Reichsver-
fassung eingeräumten Hoheitsrechten hinsichtlich des Eisenbahnwesens
gehören.
Nichtausgeschlossen ist das Stimmrecht Hamburgs und
Bremens in Zoll- und Steuerangelegenheiten; denn abgesehen davon,
daß Gebietsteile des Hamburger Staates in das Zollgebiet eingeschlossen
sind, entrichten diese Staaten an Stelle der indirekten Steuern Aversa
an das Reich?) und haben nach Art. 35 der Reichsverfassung die
1) Vgl. hierüber Thudichum in v. Holtzendorffs Jahrb. I, S. 23.
2) Vgl. Staatsmin. Delbrück im II. Außerordentl. Reichstage 1870. Stenogr.
Ber. S.125. — v. Rönne I, S.206; Zorn ]J, S. 151; Seydel, Kommentar S. 147 fg.
und im Jahrb. S. 283: Meyer$ 124 a. E.
3) Staatsmin. Delbrück &.a.0.8.123. Durch den Zollanschluß von Hamburg
und Bremen ist die Frage überhaupt erledigt.