Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

32 82. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 
nach der ausdrücklichen Bestimmung in Art. VI desselben erloschen. 
Am 1. Juli 1867 war .der norddeutsche Bund errichtet, nicht früher 
und auch nicht später. Als am 14. Juli 1867 der König von Preußen 
den Grafen von Bismarck zum Bundeskanzler des Norddeutschen 
Bundes ernannte, am 26. Juli 1867 die Einführung des Bundesgesetz- 
blattes anordnete und in der ersten Nummer desselben die Verfassung 
desselben abdrucken ließ, war der Norddeutsche Bund schon vorhan- 
den und die Verfassung desselben bereits in Geltung. König Wilhelm 
handelte bereits auf Grund derselben kraft der durch diese Verfassung 
ihm übertragenen Rechte. Diese Publikation ist kein Gesetzgebungs- 
akt; das »Publikandum« vom 26. Juli 1867, mit welchem das Bundes- 
gesetzblatt beginnt, enthält keine Klausel, welche dieser Verfassung 
Gesetzeskraft beilegt, sondern der König »tut kund und fügt im 
Namen des Norddeutschen Bundes zu wissen, daß die 
norddeutsche Bundesverfassung — folgt deren Wortlaut — unter dem 
25. Juni d. J. verkündet worden und am 1. Juli die Gesetzeskraft er- 
langt hat.« Indem der König dies »zur öffentlichen Kenntnis bringt«, 
erklärt er zugleich, die durch die Verfassung ihm übertragenen Rechte, 
Befugnisse und Pflichten zu übernehmen !). 
Nach Maßgabe dieses Gründungsvorganges ist eine -Frage zu er- 
örtern, welche für die juristische Konstruktion des Norddeutschen 
Bundes und des Deutschen Reiches von prinzipieller Bedeutung ist, 
nämlich die Frage nach dem Rechtsgrunde, auf welchem die verbind- 
liche Kraft der Bundesverfassung (beziehentlich der Reichsverfassung) 
beruht. 
Auf der einen Seite stehen einige Schriftsteller, welche die Verfas- 
sung für einen völkerrechtlichen Vertrag halten?) Alsdann 
klar zu Tage. Denn das Augustbündnis hatte in der weit überwiegenden Mehrzahl 
der Staaten formelle Gesetzeskraft überhaupt nicht erlangt; man hatte sich vielmehr 
darauf beschränkt, das Wahlgesetz für die Wahlen zum verfassungsberatenden Reichs- 
tag landesgesetzlich zu genehmigen; es konnten daher auch keine Ausführungsge- 
setze zum Augustbündnis erlassen werden. Auch enthalten die Publikationsgesetze 
nicht die geringste Andeutung, daß sie in diesem Verhältnis zum Augustbündnis 
stehen. Hätte das letztere bereits Gesetzeskraft gehabt, so wäre für den Erlaß von 
bloßen Ausführungsbestimmungen die Gesetzesform in der Mehrzahl der Staaten gar 
nicht erforderlich gewesen. 
1) Vgl. auch G. Meyer, Staatsr. Erörterungen S. 60, 61. 
2) So v. Martitz, Betrachtungen S. 6, 136; Westerkamp S.20; Seydel 
a.2.0.; G. Meyer in Hirths Annalen 1876, S. 658 ff. und Staatsrecht $ 64; v. 
Müller in der Krit. Vierteljahresschr. N. F. Bd. 5, S. 593. — Auch Brie in Grün- 
huts Zeitschrift XT, S. 101 fg., 149 fg. und derselbe, Theorie der Staatenverbin- 
dungen, Breslau 1886, S. 130 ff. ist wohl diesen Schriftstellern beizuzählen; denn wenn- 
gleich er im Anschluß an die hier entwickelte Theorie anerkennt, daß der Bundes- 
staat nicht durch den Staatsvertrag unmittelbar, sondern erst durch die Erfüllung des 
Vertrages zur Existenz gelangt, so behauptet er doch, daß der Vertrag keine bloß 
vorbereitende Bedeutung habe, sondern „daß er den Rechtsgrund bilde, kraft 
dessen dem Bundesstaat eine rechtliche Existenz, der Bundesverfassung eine die 
Einzelstaaten verpflichtende Kraft zukommt“. Dem liegt eine Vermischung der völker-
	        
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