Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 47. Die Pflichten und Beschränkungen der Reichsbeamten. 465 
Befugnisse sich gehalten. Ob dies der Fall sei, hat der untergebene 
Beamte zu prüfen; dagegen hat er nicht zu untersuchen, ob die vor- 
gesetzte Behörde im einzelnen Fall von ihren Amtsbefugnissen einen 
angemessenen Gebrauch gemacht« !). 
Ebenso gilt hier das oben Bemerkte, wenn eine richterliche In- 
stanz zur rechtlichen Entscheidung der Zuständigkeit vorhanden ist?). 
III. Die Pflicht eines achtungswürdigen Verhaltens. 
Das Dienstverhältnis, welches zwischen dem Staat und dem Be- 
amten besteht, begründet für den Staat ein rechtliches Interesse, daß 
der Beamte, auch abgesehen von seiner amtlichen Tätigkeit, sich so 
beträgt, wie es Ehre und Sitte erfordern. Der Beamte, welcher Ho- 
heitsrechte des Staates handhabt und mit einer Vertretungsbefugnis für 
den Staat ausgestattet ist, darf nicht einen Lebenswandel führen, der 
ihn um Ansehen und Achtung bringt. Denn das Volk kann die ab- 
strakte Unterscheidung zwischen dem Beamten als Vertreter des Staa- 
tes und dem Beamten als Privatperson nicht festhalten; es erblickt in 
dem Beamten den einheitlichen Menschen; es zollt ihm in seiner 
staatlichen Stellung keine Achtung, wenn er dieselbe in seinem Privat- 
leben verloren hat, und es geht von der natürlichen Voraussetzung 
aus, daß der Beamte für seine amtlichen Geschäfte keine größere sitt- 
liche Festigkeit, keinen höheren Grad von Ernst, Fleiß und Gewissen- 
haftigkeit aufwendet, als er in seinem außeramtlichen Lebenswandel 
betätigt. Deshalb leidet der Staat selbst darunter, wenn seine Beamten 
sich nicht achtungswürdig führen, abgesehen von der Gefahr, daß ein 
Beamter von unehrenhaftem oder unsittlichem Betragen auch vor 
Amtsvergehen weniger Scheu haben könnte. 
Der Staat verlangt daher von seinen Beamten mit Recht, daß sie 
nicht nur in ihrer amtlichen Tätigkeit, sondern in ihrem gesamten 
Lebenswandel den Anforderungen der Ehre und Sitte genügen, und 
der Beamte übernimmt durch den Eintritt in den Staatsdienst die 
Pflicht, diesem Verlangen zu entsprechen. Das Reichsbeamten- 
1) Diese Grundsätze sind auch in der Praxis des Reichsgerichts kon- 
sequent festgehalten worden; vgl. z. B. die Urteile vom 24. September 1880, 1. No- 
vember 1880, 23. November 1880, 1. Mai 1882, 23. Juni 1882 u. s. w. (Rechtsprechung 
des Reichsgerichts in Strafsachen II, S. 249, 424, 559; IV, S. 419, 605). Vgl. auch G. 
Meyer8 146; Rehm, Annalen 1885, S. 83fg.; Freund a. a.0. S.133 ff. Anderer 
Ansicht ist — abgesehen von den ganz unbedeutenden Erörterungen von v. Kirchen- 
heim im Gerichtssaal Bd. 30, S. 172 ff. — Löning, Verwaltungsrecht S. 123. In 
allen Punkten mit der von mir entwickelten Lehre übereinstimmend, äußern sich 
Binding, Handbuch des Strafrechts Bd. 1, S.805fg. und Seydel, Bayer. Staatsr. 
II, S. 224. 
2) Uebereinstimmend hiermit verordnet das Rechtshilfegesetz81, daß 
das ersuchte Gericht die Rechtshilfe selbst dann nicht verweigern darf, wenn es die 
Zuständigkeit des ersuchenden Gerichts nicht für begründet hält. Dagegen wird das 
ersuchte Gericht prüfen müssen, ob die requirierende Behörde überhaupt ein Gericht 
ist, ob die verlangte Handlung eine Prozeßhandlung ist u. s. w.
	        
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