484 8 48. Die Rechtsfolgen der Pflichtverletzung.
Il. Die disziplinarischen Folgen.
In der Disziplinarbestrafung der Beamten wegen Verletzung ihrer
Dienstpflicht kommt die juristische Natur des Beamtenverhältnisses
am reinsten zum Ausdruck. Wenn man von der oben dargelegten
Auffassung des Anstellungsvertrages ausgeht, so ergibt sich von selbst
der Rechtsgrund, der Inhalt und Umfang und der Zweck der Dis-
ziplinargewalt. In der staatsrechtlichen und strafrechtlichen Literatur
und in zahlreichen von ihr beeinflußten Gesetzen wird die Disziplinar-
bestrafung in Zusammenhang gebracht mit der öffentlichen Strafgewalt,
und es ergeben sich alsdann große Schwierigkeiten hinsichtlich der
Bestimmung des gegenseitigen Verhältnisses derselben.
Das Disziplinarrecht erscheint nach der herrschenden Auffassung
als ein Spezialstrafrecht für Beamte; Disziplinarvergehen sind eine
Klasse von Amtsvergehen; Disziplinarstrafen treten als Ergänzung zu
dem System der Öffentlichen Strafen hinzu; das Disziplinarverfahren
erscheint als eine Abart des Strafprozesses'. Von diesem Gesichts-
punkte aus macht die alte Regel ne bis in idem große Schwierigkeiten;
denn man kann nur in der gezwungensten Weise es erklären, daß ein
Beamter wegen derselben strafbaren Handlung sowohl kriminell
als auch disziplinarisch verfolgt und bestraft werden kann. Nicht
minder schwierig ist es, sich mit der Lehre von der Strafverjährung
abzufinden und die Tatsache zu erklären, daß die Verjährung der
Strafverfolgung nicht notwendig die Disziplinarbestrafung ausschließt.
Völlig unmöglich aber erscheint es, zwischen den kriminellen Amts-
1) Von Einfluß auf die Doktrin wurde insbesondere ein Aufsatz von Heffter
im Neuen Archiv des Kriminalrechts Bd. 13 (1832), S. 48 ff., woselbst Disziplinarver-
gehen und Vergehen im Amt völlig vermengt sind. Ganz ähnlich Buddeus in
Weiskes Rechtslexikon I, S. 220fg.; ferner Mittermaier zu Feuerbachs Lehrbuch
$ 477, Note 1 u. 4 (14. Aufl, S. 749 ff). Berner, Lehrbuch S. 548 behandelt die
Disziplinarvergehen als leichtere, mit Kriminalstrafe verschonte Amtsvergehen;
Schütze, Lehrbuch S. 522 und in v. Holtzendorffs Rechtslexikon I, S. 97 (3. Aufl.)
erklärt ausdrücklich, daß sich Amtsdelikte und Disziplinarvergehen nicht begrifflich
oder grundsätzlich unterscheiden. Vgl. ferner Meves in v. Holtzendorffs Handbuch
des Strafrechts III, S. 939 fg.; Bülau im Bluntschli-Braterschen Staatslexikon Bd. 3,
S. 140 und v. Pözl, ebendas. Bd. 9, S. 696 ff., welche zwar die tatsächlichen Unter-
schiede zwischen Disziplinargewalt und Strafgewalt richtig charakterisieren, beide
aber als im wesentlichen gleichartig ansehen. Auf demselben Standpunkte stehen
noch H. Meyer, Strafrecht 8 1, Note 3 und $ 102; G. Meyer, Staatsrecht 8 148
und Annalen 1876, S. 672 und Zorn], S. 328. Der letztgenannte Schriftsteller be-
zeichnet aber trotzdem die disziplinarischen Folgen als „staatsrechtliche* und stellt
sie den strafrechtlichen gegenüber. — Eine vermittelnde Meinung wird in fein durch-
dachter und anziehender Weise entwickelt von v. Bar, Handbuch des deutschen
Strafrechts Bd. 1 (1882), $ 111 (S. 353 ff... Vgl. auch Seydel, Bayer. Staatsrecht
Bd. 2, S.271ff.; Merkel, Lehrbuch des Strafrechts 8 16; Labes in Hirths Annalen
1889, S. 213 ff. (daselbst ein ausführliches Referat über die Literatur); Harseim,
Art. „Disziplin“ in v. Stengels Wörterbuch I, S. 267 ff.; Otto Mayer, Verwaltungs-
recht Bd. 2, S. 241 ff.