Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

85. Die Redaktion der Reichsverfassung. 49 
sehängt worden waren, sind aus der Reichsverfassung weggelassen und 
in das Publikationsgesetz aufgenommen worden. 
5. Endlich enthält die Reichsverfassung eine materielle Ab- 
änderung der vereinbarten Verfassung, indem der durch den bayeri- 
schen Vertrag Art. II, S 6 geschaffene Ausschuß des Bundesrates für 
die auswärtigen Angelegenheiten außer den Bevollmächtigten von 
Bayern, Sachsen und Württemberg, aus zwei vom Bundesrat alljährlich 
zu wählenden Bevollmächtigten anderer Bundesstaaten bestehen soll'). 
II. Das Publikationsgesetz. 
1. Dasselbe verfügt in $ 1, daß die beigefügte Verfassungsurkunde 
für das Deutsche Reich an die Stelle der zwischen dem Norddeut- 
schen Bunde und den Großherzogtümern Baden und Hessen verein- 
barten Verfassung des Deutschen Bundes, sowie der mit den König- 
reichen Bayern und Württemberg über den Beitritt zu dieser Verfas- 
sung geschlossenen Verträge vom 23. und 25. November 1870 tritt. 
Damit sind diese Verträge als solche nicht aufgehoben oder 
modifiziert?), dieselben bilden für alle Ewigkeit die völkerrecht- 
liche Grundlage, auf welcher die Gründung des Reiches erfolgt ist?). 
Der Eingang der Reichsverfassung leistet vielmehr ausdrückliches Zeug- 
nis für diese historische völkerrechtliche Grundlage der Reichsgründung 
durch Bezugnahme auf den Vertrag, den der Norddeutsche Bund mit 
den süddeutschen Staaten geschlossen hat. Ebensowenig wird das 
durch diese Verträge begründete Rechtsverhältnis durch das 
Publikationsgesetz berührt; dasselbe war vielmehr schon am 1. Ja- 
nuar 1871 erloschen durch vollständige gegenseitige Erfüllung. Schon 
am 1. Januar 1871 trat an die Stelle des Vertrages die Verfassung und 
zwar diejenige Verfassung, welche in den Novemberverträgen verein- 
bart worden war. Dagegen wird durch das Publikationsgesetz die 
formelle Geltung dieser, am 1. Januar 1871 auf Grund 
der Novemberverträge in Kraft getretenen Bundes- 
verfassung beseitigt und — bei materieller Aufrechterhaltung ihres 
Inhalts — durch die formelle Geltung der Reichsverfassung vom 
16. April 1871 ersetzt. 
Da das Bundesgesetzblatt (Nr. 16), welches das Publikationsgesetz 
  
1) Ueber die materielle Tragweite, welche der Einfügung der Bezeichnung „Kai- 
ser“ im Art. 17 der Reichsverf. zukommt, vgl. unten $ 24. 
2) So Hänel, Studien I, S. 87--90 und die meisten Schriftsteller. 
. 3) Die Ansicht, daß die Bündnisverträge die völkerrechtliche Grundlage der 
Reichsgründung seien, ist von einzelnen Schriftstellern bestritten worden. Außer 
Klöppel, Dreißig Jahre deutscher Verf.-Gesch. I, S.81fg. u. s. w., welcher sich von 
allen staatsrechtlichen Begriffen und Deduktionen fern hält (vgl. über seine Schrift 
die zutreffende Kritik von Anschütz in der Histor. Zeitschr. 1901, S. 324 ff.), ist 
namentlich zu nennen M.Menzel, Zur Lehre der vertragsmäß. Elemente der Reichs- 
verf. (Tübingen 1909). Vgl. oben S. 34, Note 1.
	        
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