g 8. Fortsetzung. Kritik entgegenstehender Ansichten. 75
daher so weit gegangen, geradezu den Staat als eine Schöpfung des
vVölkerrechts zu erklären und das charakteristische Merkmal des Staats-
heoriffes in der internationalen Anerkennung der völkerrechtlichen
Rechtsfähigkeit zu finden '). Hier wird aber doch wohl das logische
Verhältnis umgekehrt. Die Staatsqualität ist nicht ein Reflex, eine
Wirkung der völkerrechtlichen Anerkennung, sondern sie bildet den
Grund der letzteren; das Völkerrecht ist das unter den Staaten gel-
tende Recht, setzt also die Existenz derselben voraus. Man kann sich
den Staat doch auch isoliert und von allen völkerrechtlichen Be-
ziehungen losgelöst vorstellen und es muß daher Kriterien geben, die
den Staatsbegriff ohne Zuhilfenahme des Völkerrechts bestimmen.
Richtig ist aber, daß die völkerrechtliche Persönlichkeit ein Symptom
der Staatsqualität ist und ihre internationale Anerkennung einen Rück-
schluß auf das Vorhandensein der letzteren gestattet?2). Die Voraus-
setzung, welche das Völkerrecht für diese Anerkennung verlangt, ist
eine selbständige Herrschaft über Gebiet und Untertanen, aber nicht
eine von jeder höheren Gewalt unabhängige Herrschaft, oder mit
anderen Worten, das Völkerrecht erkennt auch »halbsouveränen«, d.h.
nichtsouveränen Staaten die Eigenschaft des internationalen Rechts-
subjekts zu. Dies beweisen die zahlreichen mit solchen Staaten ge-
schlossenen Staatsverträge ?°).
3. Aus der Erkenntnis, daß nur der Bundesstaat, nicht auch zu-
gleich der Gliedstaat souverän sei, werden nach anderer Richtung hin
Konsequenzen gezogen, welche zu einer durchaus abweichenden Vor-
stellung vom Bundesstaat hinführen. Zorn‘) und Jellinek’°) fol-
gern aus dem Begriff der Souveränität, daß der souveräne Staat »alle
erdenklichen Hoheitsrechte zu eigenem Rechte inne hat«, daß mithin
für den Gliedstaat eigene Rechte überhaupt nicht übrig bleiben, son-
dern daß er seine Rechte nur durch Uebertragung des souveränen
Staates erhalten könne. »Hiernach können nur durch den Willen des
souveränen Staates nichtsouveräne Staaten gebildet werden; der sou-
veräne Staat ist begrifflich stets das Primäre, der nichtsouveräne Staat
das Sekundäre« ®). Durch den Eintritt in den Bundesstaat gehe der
Gliedstaat als solcher unter; was er an Rechten fernerhin habe, beruhe
auf Verleihung der Bundesstaatsgewalt.e Jellinek hat in seinen
neueren Schriften ?) seine Ansicht geändert und sich der hier vertrete-
1) Insbesondere Stöber im Archiv für öffentliches Recht I, S. 638 ff. und in
ausführlicher Entwickelung Rehm 8.38 ff. Vgl. dagegen auch Rosenberg S. 347
und Le Fur S. 444.
2) Vgl. Jellinek, Staatenverb. S. 49; Brie, Staatenverbind. S. 37, Note 4.
3) Vgl. Rehm S. 22fg., 53, 69.
4) Staatsrecht I, S. 72; Tübinger Zeitschrift Bd. 37 (1881), S. 312; Annalen 1884,
n 453 ff. 5) A. a. O. S. M4ff., 271 ff, 281 ff. 6) Aehnlich Bake S. 168 ff.;
orelS. 71,141 a.a. O.u. Wenzelin der $. 34 zitierten Schrift.
R Gesetz und Verordnung (1887) S. 201 fg. System der subjektiven öffentlichen
echte (1892) S. 281 fg. Allgem. Staatslehre (2. Aufl.) S. 276.