Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

110 8 58. Die Rechtsverordnungen des Reichs. 
Artikel hatte in dem Preuß. Entw. v. 15. Dez. 1866 die Fassung: »daß 
die Bundesgesetze, welche ihre verbindliche Kraft durch ihre Verkündi- 
gung von Bundes wegen erhalten, den Landesgesetzen vorgehen«. Der 
Vorrang vor den Landesgesetzen und die Verkündigung von Bundes 
wegen werden hier von einem und demselben Objekt ausgesagt, über 
die Art der Verkündigung aber nichts bestimmt). Erst bei der Be- 
ratung des preuß. Entw. in der Konferenz der Bevollmächtigten wurde 
beschlossen, daß die Verkündigung der Bundesgesetze durch ein be- 
sonderes Bundesgesetzblatt erfolgen soll. Hierdurch wurde eine Fassungs- 
änderung nötig; aus dem Relativsatz des Entwurfs wurde ein selb- 
ständiger Hauptsatz. Daß dadurch aber nicht der Sinn des Wortes 
»Bundesgesetz« eine andere Bedeutung erhielt, als er in dem Relativ- 
satz hatte, ist wohl unzweifelhaft. Das Gegenteil ist vollkommen 
unmöglich; denn die Vorschrift, daß die »Reichsgesetze« ihre verbind- 
liche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichs wegen erhalten, be- 
zieht sich auch auf Rechtsverordnungen des Reichs, worüber kein 
Zweifel besteht; der Relativsatz »welche vermittelst eines Reichsgesetz- 
blattes geschieht«, bezieht sich daher auf alle Rechtsvorschriften, welche 
der Ausdruck »Reichsgesetze« im Hauptsatz umfaßt. Eine andere Aus- 
legung ist grammatikalisch unmöglich. Die Behauptung, daß die Ver- 
kündigung von Verordnungen der Willkür dessen anheimgestellt sei, 
welcher die Verordnung erlassen, steht in vollem Widerspruch mit 
dem Begriff der Verkündigung und ist durch nichts begründet. Es 
folgt hieraus, daß Rechtsverordnungen des Reiches, welche nicht im 
Reichsgesetzblatt verkündigt sind, als solche keine verbindliche 
Kraft haben?) Die Frage, inwieweit sie als Verwaltungsvorschriften 
Verbindlichkeit haben, wird hierdurch nicht berührt. 
1) Da nach dem Bismarckschen ersten Entw. der Nordd. Bund unter die Hege- 
monie Preußens gestellt, wie man sagte „ein verlängertes Preußen“ werden sollte, 
d. h. Preußen gewisse staatliche Funktionen für die ihm angegliederten Kleinstaaten 
zugleich mit ausüben sollte, so erscheint es nicht ausgeschlossen, daß Bismarck die 
Verkündigung der Bundesgesetze in der preuß. Gesetzsammlung für zulässig er- 
achtete und im Sinne hatte. Auch die Verkündigungsformel, welche man noch jetzt 
gebraucht, deutet darauf hin. 
2) Diese Ansicht ist in der Literatur auch die vorherrschende. Vgl. Thudichum, 
Verfassungsrecht S. 93, Note 4; HänelS. 66, 91fg.; HenselS. 27; Binding, 
Handbuch des Strafrechts I, S. 207; Seligmann S. 166 fg.; Schulze, Deutsches 
Staatsrecht II, 8 288; G. Meyer, Staatsrecht $ 159, Note 9 und $ 165 a. E. Die 
entgegengesetzte Ansicht hat Arndt S. 182 ff., 198 ff. ausgeführt, welchem sich Dam- 
bitsch S. 55 ff. anschließt; vgl. auch Löning, Verwaltungsrecht S. 239, Note 1; 
Seydel, Bayer. Staatsrecht II, S. 345, Anm. 21 und Kommentar S.45undDyroff 
S. 8835, Note 4. Auch Rosin, Arbeiterversicherung I, S. 104, Note 9. Die von Arndt 
gegebene Begründung halte ich in allen Beziehungen für verfehlt. Die Motive zu 
$ 120e der Gewerbeordnung sagen: „Die durch Beschluß des Bundesrats erlassenen 
Vorschriften bilden Ergänzungen des Reichs-Gewerberechts, siesollen daher... 
durch das Reichsgesetzbl. veröffentlicht werden.“ Hier wird das richtige Prinzip 
ausdrücklich anerkannt. Dagegen hat das Reichsgericht, Entscheidungen in 
Zivilsachen Bd. 40, S. 76 und Bd. 48 S. 84 ff. die Bekanntmachung einer Rechtsver-
	        
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