Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 61. Der Abschluß von Staatsverträgen. 139 
Verfügung oder Verordnung die Beamten des Reiches angewiesen 
werden, gewisse Geschäfte in einer gewissen Art zu erledigen. Und 
doch fallen völkerrechtliche Verträge über solche Gegenstände unter 
die Bestimmung des Art. 11, Abs. 3. Der Kaiser könnte also die Zu- 
sage, eine solche Verordnung zu erlassen, einem fremden Staate zwar 
ohne Zustimmung des Bundesrates und Genehmigung des Reichstages 
nicht gültig erteilen, wohl aber wäre er staatsrechtlich völlig befugt, 
diese Zusage sogleich rechtswirksam zu erfüllen ''). 
Dem Wortlaut des Art. 11, Abs. 3 liegt offenbar eine Verwechslung 
zugrunde zwischen den Angelegenheiten, welche zur Kompetenz 
des Reiches gehören, und denjenigen Gegenständen, welche das Reich 
in der Form der Gesetzgebung erledigen soll. Die Worte »nach 
Art. 4« sind ohne Bedeutung, ihre Aufnahme ist ein Redaktionsver- 
sehen ?. Dem Abs. 3 ist ein befriedigender Sinn nur abzugewinnen, 
wenn man ihn dahin auslegt, daß Willensakte, welche das Reich ver- 
fassungsmäßig nur unter Zustimmung des Bundesrates und mit Ge- 
nehmigung des Reichstages, d. h. in der im Art. 5 definierten Form 
des Reichsgesetzes vornehmen kann, an diese Erfordernisse 
auch dann gebunden sein sollen, wenn sich das Reich durch einen 
Staatsvertrag zur Vornahme derselben verpflichtet hat. 
Dieses Kriterium wird aber nicht dadurch gegeben, ob der Staats- 
vertrag einen Gegenstand betrifft, welcher im Art. 4 der Reichsver- 
fassung aufgeführt ist oder nicht, sondern einzig und allein dadurch, 
ob zur Vollziehung des Staatsvertrages ein Befehl erforderlich ist, den 
der Kaiser nur unter Zustimmung des Bundesrates und mit Genehmi- 
gung des Reichstages (im Gesetzgebungswege) erlassen kann, 
oder ob der Kaiser die zur Erfüllung des Staatsvertrages erforder- 
lichen Befehle selbständig (im Verordnungswege) zu erlassen be- 
fugt ist). 
1) Auch für diese an dem Buchstaben des Art. 11, Abs. 3 haftende Theorie hat 
sich trotz ihrer Absurdität ein Verteidiger gefunden, nämlich Gorius in Hirths An- 
nalen 1875, S. 546 ff. 
2) Uebereinstimmend Störk S. 522. G. Meyer, Staatsrecht 8 190, Note 14 
und die dort zitierten Schriften. Anschütz S. 618. Auch Pröbst S, 286 stimmt 
sachlich hiermit überein, willaber die Reichsverfassung vor dem hier gemachten Vor- 
wurf der Verwechslung dadurch verteidigen, daß er annimmt, der Ausdruck „Reichs- 
gesetzgebung“ im Art. 11, Abs. 3 fasse beides zusammen, die Kompetenz der Reichs- 
gewalt und die Form der Reichsgesetzgebung. Dem steht aber die Bezugnahme auf 
Art. 4 entgegen, der nur die Kompetenz betrifft; aber nicht, wie der Staatssekretär 
Graf Posadowsky in der Sitzung des Reichstags vom 7. Dezember 1906 (Stenogr. 
Berichte S. 4241, abgedruckt bei Dambitsch S. 293) sagte, „die Kompetenz des Reichs- 
tags“, sondern die Kompetenz des Reichs. 
3) In vollkommen übereinstimmender Weise wird Art. 11, Abs. 3 von Meier 
a. a.0. S. 294 ff. ausgelegt. Auch G. Meyer, Zorn, Levy, Prestele, Pröbst, 
Schulze, Seligmann, Anschütz u. A. stimmen hiermit überein. Auch Dam- 
bitsch S. 292 fg. Arndt, Staatsrecht S. 712 mengt seine habituelle Durchein- 
anderwerfung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften auch hier ein.
	        
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