12 8 54. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
gebrauch, unter Gesetzen die Staatsgesetze zu verstehen. Anstatt
die Gesetze einzuteilen in staatliche (souveräne) und autonomische,
pflegt man die autonomischen Anordnungen den »Gesetzen« gegen-
überzustellen, als wären sie nicht eine Unterart, sondern der Gegen-
satz der Gesetze. Diese ungenaue Ausdrucksweise erzeugt dann
ihrerseits wieder die Vorstellung, daß nur der Souverän Gesetze er-
lassen könne, daß die Souveränität eine unerläßliche Voraussetzung
für die Gesetzgebung sei. Diese Vorstellung ist, trotzdem sie all-
gemein verbreitet ist, ein Irrtum. Es ist leicht, aus der Rechtsge-
schichte dies zu erweisen und Verfassungszustände anzuführen, in
denen die Regelung der Rechtsordnung und darum auch die Befugnis
zum Erlaß von Gesetzen nicht zu den ausschließlichen Prärogativen
der souveränen Gewalt gehörte. Gerade in Deutschland ist das ehe-
malige Reich niemals in dem Alleinbesitz der Befugnis gewesen, die
Rechtsordnung zu regeln, und erst die allgemeine Staatsrechtstheorie
des letzten Jahrhunderts hat die in Rede stehende Anschauung zur
Herrschaft gebracht.
Auch die jetzige Reichsverfassung weiß nichts von dem Grundsatz,
daß das Reich allein und ausschließlich berufen sei, die gesamte Rechts-
ordnung zu regeln, und damit ist ven selbst die ausschließliche Be-
fugnis des Reiches zur Gesetzgebung verneint. Den Einzelstaaten ist
ein großer Teil der staatlichen Aufgaben zu selbständiger Erfüllung
überlassen und dadurch ihnen zugleich die Befugnis gewahrt, hinsicht-
lich dieses Teiles Rechtsregeln in verbindlicher Weise aufzustellen,
also Gesetze zu geben. Demgemäß unterscheidet die Reichsverfassung
selbst Reichsgesetze und Landesgesetze'). Wenn man die
unrichtige Vorstellung fallen läßt, daß nur die souveräne Staatsgewalt
imstande sei, Gesetze zu geben, so kann man aus der reichsver-
fassungsmäßigen Anerkennung der Landesgesetzgebung nicht den Schluß
ziehen, daß die Einzelstaaten souverän seien oder daß die Souveränität
zwischen Reich und Einzelstaat geteilt sei, sondern die Landesgesetz-
gebung fällt unter den wissenschaftlichen Begriff der Autonomie,
während die Reichsgesetzgebung die Gesetzgebung des Souveräns ist.
Zwischen der Landesgesetzgebung und der Autonomie der Kommunen
besteht freilich in einer wichtigen Beziehung ein wesentlicher Unter-
schied. Da die Gesetzgebung eine Aeußerung der Herrschaft, des
imperium, der »vis cogendi« ist, die Herrschaft aber das spezifische
Merkmal des Staates im Gegensatz zu den Gremeinden bildet, so
ergibt sich, daß nur Staaten kraft eigenen Rechts eine Gesetz-
gebungsgewalt haben können, Kommunen und andere Korporationen
dagegen Rechtssätze nur insoweit mit verbindlicher Kraft anordnen
können, als der Staat ihnen diese Befugnis überträgt und ihre Anord-
nungen unter seinen Schutz nimmt. Reichsgesetzgebung und Landes-
1) Reichsverfassung: Art. 2, 35.