Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 157 
Erfüllung nicht herbeiführen darf, so kann man esin der Tat als eine 
Rechtspflicht des Souveräns bezeichnen, bei allen das Gebiet der 
Gesetzgebung berührenden Verträgen den Vertragsentwurf der Volks- 
vertretung vorzulegen und erst nach erteilter Genehmigung den Ver- 
trag zu ratifizieren, d. h. abzuschließen. Aber auch in solchen Fällen, 
in denen eine staatsrechtliche Verpflichtung hierzu nicht begründet ist, 
kann es aus politischen Gründen angemessen erscheinen, die Zustim- 
mung der Volksvertretung einzuholen'!). 
5 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 
Verträge verpflichten ihrer juristischen Natur nach immer nur die 
Kontrahenten; Staatsverträge verpflichten daher lediglich die Staaten, 
niemals deren Untertanen; sie erzeugen immer nur völkerrechtliche 
Befugnisse und Verbindlichkeiten, niemals Rechtssätze. Die Behörden 
und Untertanen werden nicht durch Rechtsgeschäfte, sondern nur 
durch Befehle ihrer Staatsgewalt zum Gehorsam verpflichtet; sie wer- 
den demgemäß auch zur Befolgung der in einem Staatsvertrage ver- 
einbartlen Regeln nicht durch den Staatsvertrag selbst, sondern nur 
durch den staatlichen Befehl, diese Regeln zu befolgen, verpflichtet ?). 
Von diesem Gesichtspunkte aus ergibt sich als logische Konsequenz 
der Satz: die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge be- 
ruht nicht auf deren Abschluß, sondern auf dem Befehl des Staates, 
den Inhalt des Vertrages als bindende Vorschrift anzusehen. 
Nach dem Inhalte dieses Befehls bestimmen sich die staatsrecht- 
1) Gerade bei einem Vertrage, der unzweifelhaft keinen Gegenstand berührt, 
der unter Art. 4 der Reichsverfassung gehört, und der überhaupt mit dem Rechtszu- 
stande Deutschlands gar nichts zu tun hat, dagegen dem Deutschen Reiche pekuniäre 
Lasten auferlegt, nämlich beidem Vertrage mit Griechenland wegen der 
Ausgrabungen in Olympia (Reichsgesetzbl. 1875, S. 241), ist im Art. 10 aus- 
bedungen, daß keiner der beiden Teile verpflichtet ist, ihn vor der Genehmigung 
durch die Volksvertretung zur Ausführung zu bringen, und im Art. 11 ist eine Frist 
für die Ratifikation „unter Vorbehalt der Genehmigung durch die Volksvertretung“ 
festgesetzt. Dem Deutschen Reichstage ist der Vertrag als Anlage zum Etat für 1875 
(Il, S. 45) vorgelegt worden. Aehnlich die internationale Meterkonven- 
tion Art. 14, welche dem Reichstage mit dem Etat für 1876 als Anlage (I, S. 31) 
vorgelegt worden ist. 
2) Hierüber herrscht in der neueren Literatur eine fast vollkommene Ueberein- 
stimmung. Man vgl. z. B. Gneista. .0.; Thudichum, Verfassungsrecht S. 91; 
Jellinek, Staatsverträge S. 55, Gesetz und Verordnung S. 3861; J. A. Levy 
S. 104 ff; Gierke bei Grünhut VI, S. 228; Pröbst S. 265; Zorn, Staatsrecht 1. 
S. 499; G. Meyer 8189; H. Schulze IL, S. 328; SeligmannS.7ff.; Tezner 
S. 141 ffl.; Heilborn im Archiv für öffentl. Recht XII, S. 141 ff. Eine Ausnahme 
macht Leoni im Archiv für öffentl. Recht I, S. 506, der zu der veralteten Anschau- 
ung zurückkehrt, daß der Staatsvertrag eine (vom Gesetz verschiedene) „Quelle des 
Landesrechtes“ sei und wegen der Einheit der Staatsgewalt und des Staatswillens 
zugleich nach Außen und Innen wirke. Aehnlich jetzt auch Störk S. 525 fg. Vgl. 
oben S. 126 fg.
	        
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