Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

158 8 62. Die staatsrechtliche Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge. 
lichen Erfordernisse desselben. Hiernach ergeben sich folgende Unter- 
scheidungen: 
1. Wenn das Reich in dem Vertrage sich zur Vornahme einzelner 
Handlungen verpflichtet hat, zu welchen die Reichsbehörden nach 
Maßgabe der bestehenden Gesetze befugt sind, so genügt eine Ver- 
fügung an die ressortmäßigen Behörden, durch welche ihnen die 
Vornahme dieser Handlungen aufgetragen wird. Zum Erlaß des Dienst- 
befehls ist der Reichskanzler oder der Chef des betreffenden Ressorts 
befugt. 
2. Enthält der Vertrag Vereinbarungen über allgemeine Verwal- 
tungsvorschriften und Einrichtungen, welche zur Ausführung von 
Reichsgesetzen dienen !), so ist nach Art. 7, Ziff. 2 der Bundesrat zum 
Erlaß von Anordnungen befugt, falls nicht durch Reichsgesetz der 
Erlaß solcher Anordnungen dem Kaiser oder einer Reichsbehörde 
übertragen ist. (Verwaltungsverordnungen.) Dies gilt ins- 
besondere von allen Staatsverträgen, welche in den Bereich der den 
Einzelstaaten zustehenden Verwaltung eingreifen. 
3. Dagegen ist die Uebereinstimmung von Bundesrat und Reichs- 
tag erforderlich, wenn zur Ausführung des Vertrages ein Gesetzesbe- 
fehl notwendig ist. Dies ist aber nicht nur dann der Fall, wenn. der 
Vertrag Rechtsvorschriften enthält, welche das bestehende 
Recht aufheben, abändern, ergänzen, sondern auch dann, wenn er 
irgend einen Gegenstand betrifft, welcher im Deutschen Reich in der 
Form der Gesetzgebung erledigt werden muß oder erledigt zu 
werden pflegt, insbesondere auch wenn er Verwaltungsregeln 
betrifft, die im Deutschen Reich durch Gesetze sanktioniert worden 
sind’. Denn Verwaltungsvorschriften, welche im Wege der Gesetz- 
gebung erlassen sind, können auch nur im Wege der Gesetzgebung 
aufgehoben werden‘. Die Frage, welche Staatsverträge »in den Be- 
reich der Reichsgesetzgebung« eingreifen, ist demnach nicht im allge- 
meinen nach unabänderlichen Kriterien zu beantworten, sondern immer 
nur nach dem momentanen Zustande der Reichsgesetzgebung. Jedes 
neue Gesetz kann einen Gegenstand, der bisher der freien Willens- 
entscheidung der Verwaltung überlassen war, »gesetzlich« regeln 
oder eine bisher in Geltung stehende gesetzliche Vorschrift aufheben 
und das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden für maßgebend an- 
erkennen; damit ändert sich immer zugleich auch der Kreis der Ge- 
  
  
1) Z. B. über Zollabfertigungen, über Gewerbebetrieb, Schiffsvermessungspapiere, 
Zulassung zum Armenrecht u. dergl. Ein ferneres Beispiel ist die internationale 
Vereinbarung über die technische Einheit im Eisenbahnwesen. Reichsgesetzbl. von 
1887 S. 111 fg. 
2) Wenn die Ausführung des Vertrages mit Geldausgaben verknüpft ist, so ist 
es erforderlich, daß diese Ausgaben in das Reichsbudgetgesetz aufgenommen, also 
vom Bundesrat und Reichstag bewilligt werden. Vgl. die S. 157, Note 1 ange- 
führten Beispiele. 
3) Vgl. 8 57, S. 68 ff. Formelle Gesetzeskraft.
	        
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