868. Das Reichsland. Die Organisation des Reichslandes. 245
des Statthalters sind demnach teils landesherrliche, teils ministerielle.
Zwischen diesen beiden Kategorien besteht aber ein bedeutsamer Unter-
schied. Die Uebertragung landesherrlicher Befugnisse ist fakultativ,
sie kann auch unterbleiben !); dagegen kann es keinen Statthalter geben
ohne die ministeriellen Befugnisse und Obliegenheiten, welche bis zum
Gesetz vom 4. Juli 1879 dem Reichskanzler zugewiesen waren oder
durch spätere Landesgesetze dem Statthalter übertragen worden sind.
Mithin sind die ministeriellen Befugnisse für den Statthalter wesent-
liche, die landesherrlichen dagegen akzessorische; für die juristische
Begriffsbestimmung aber kommen nur die ersteren in Betracht. Die
Frage, ob der Statthalter als Regent (Vizekaiser) oder als Beamter
(Minister) zu qualifizieren sei, ist daher im letzteren Sinne zu beant-
worten?).
An dieser staatsrechtlichen Stellung des Statthalters ist durch das
Gesetz vom 31. Mai 1911 eine wesentliche Aenderung nicht bewirkt
worden. In den Motiven zur Regierungsvorlage S. 9fg. sowie in den
Erklärungen der Regierungsvertreter in der Kommission des Reichs-
tags (Kommissionsbericht S. 11, 17fg.) wird dies mehrfach zum Aus-
druck gebracht. Die Bestimmungen des Gesetzes vom 31. Mai 1911
über die staatsrechtliche Stellung des Statthalters beseitigen jedoch
gewisse Zweifel und Streitfragen, welche durch die mangelhafte Fassung
des Gesetzes von 1879 verschuldet worden sind, und da das Gesetz
vom 31. Mai 1911 nur im Wege der Reichsgesetzgebung abgeändert
werden kann, so sind diese Bestimmungen gegen landesgesetzliche
Abänderungen gesichert. Im einzelnen gelten folgende Regeln:
a) Der Statthalter wird vom Kaiser ernannt und abberufen (8 2).
Der Bundesrat hat kein Vorschlags- oder Zustimmungsrecht, ebenso-
wenig der Landtag. Der Statthalter wird nicht auf bestimmte Zeit
ernannt; die Abberufung kann jederzeit erfolgen und ist an keine
Schranke gebunden; der Statthalter tritt den im 5 35 des Beamten-
gesetzes aufgeführten Beamten hinzu. Dadurch, daß in dem Gesetz
von 1879 die fakultative Uebertragung landesherrlicher Befugnisse an
die Spitze gestellt worden war, wurde die irrige Ansicht hervorgerufen,
daß die Einsetzung eines Statthalters überhaupt fakultativ sei?); dieser
Irrtum ist durch & 2 des Verfassungsgesetzes nunmehr ausgeschlossen,
welcher im Abs. 1 bestimmt: »An der Spitze der Landesregierung
steht ein Statthalter« und im Abs. 2 seine gesetzlichen Befugnisse
1) Eine Ausnahme macht nur die Instruktion der Bevollmächtigten zum Bundes-
rat. Die Ausübung dieses landesherrlichen Rechts ist durch Gesetz dem Statthalter
übertragen. Siehe oben S. 236fg. Auch die Anordnung der allgemeinen Wahlen für
die zweite Kammer (Verf.-Ges. 8 8 Abs. 2) kann hierher gerechnet werden.
2) Das oben erwähnte Reichsges. v. 28. April 1886 bestätigt dies.
3) Dieser Irrtum findet sich bei Zorn I, S.538; Löning S. 78, Note 3;
Schulze S.378; G. Meyer8139 Note3; Recht der Wiedergewonne-
nen S. 90.