8 68. Das Reichsland. Die Organisation des Reichslandes. 247
halter berechtigt ist, zu polizeilichen Zwecken die in Elsaß-Lothringen
stehenden Truppen in Anspruch zu nehmen, bezweckt nur die Be-
seitigung eines Zweifels über die Zuständigkeit. Nach der Reichsver-
fassung Art. 66 Abs. 2 steht dieses Recht den Bundesfürsten zu, also
in Elsaß-Lothringen dem Kaiser in Ausübung der Staatsgewalt, welcher
es dem Statthalter delegieren kann; durch das Gesetz vom 30. Dez. 1871
8 10 Abs. 2 ist dieses Recht aber dem Oberpräsidenten delegiert wor-
den, dessen Obliegenheiten durch 8 3 des Gesetzes von 1879 auf das
Ministerium übergegangen sind. Es war daher zweifelhaft, ob das
Requisitionsrecht dem Ministerium oder dem Statthalter zustehe und
dieser Zweifel ist in dem letzteren Sinne beseitigt worden. Die Dele-
gation des Requisitionsrechts an den Statthalter beruht daher auf einem
reichsgesetzlichen Rechtssatz und kann weder durch Kaiserliche Ver-
ordnung noch durch Landesgesetz ihm entzogen werden.
Da der Statthalter in den Landesangelegenheiten Elsaß-Lothringens
an die Stelle des Reichskanzlers getreten ist, so bedürfen alle Anordnungen
und Verfügungen des Kaisers in diesen Angelegenheiten, insbesondere
die Landesgesetze, zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung des Statt-
halters, der dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt!) Der Statt-
halter wird durch den Staatssekretär vertreten (8 4 Satz 1).
d) Die Verantwortlichkeit des Statthalters ist die
parlamentarische. 82 Abs. 4 d:s Verfassungsgesetzes entspricht
dem Schlußsatz des Art. 17 der Reichsverfassung und hat zweifellos
den gleichen Sinn wie dieser. Der Statthalter ist in vollkommen
gleicher Weise in Landesangelegenheiten verantwortlich wie der Reichs-
kanzler in Reichssachen. Die Verantwortlichkeit besteht aber seit dem
Gesetz vom 31. Mai 1911 nicht dem Reichstage, sondern dem Landtage
gegenüber, da der Reichstag jede Zuständigkeit in elsaß-lothringischen
Landesangelegenheiten verloren hat. Wenn $ 17 des Gesetzes nur
den Mitgliedern des Ministeriums und den zu ihrer Vertretung abge-
ordneten Beamten das Recht zuspricht, bei den Verhandlungen der
Kammern usw. gegenwärtig zu sein und auf ihr Verlangen jederzeit
gehört zu werden’), so schließt dies das gleiche Recht des Statthalters
nicht aus; dasselbe ist die notwendige Folge oder das Korrelat seiner
Verantwortlichkeii. Was in dieser Hinsicht vom Reichskanzler Rech-
tens ist, gilt auch vom Statthalter. Tatsächlich haben die Statthalter
bisher an den Sitzungen des Landesausschusses niemals persönlich
teilgenommen, sondern sich durch den Staatssekretär vertreten lassen,
1) Verfassungsges. 8 2 Abs. 4. Die Frage, wer ein Gesetz in Landesangelegen-
heiten, welches im Wege der Reichsgesetzgebung erlassen wird, gegenzuzeichnen
habe, kann nach dem Gesetz vom 31.. Mai 1911 nicht mehr aufgeworfen werden, da
dieser Fall nicht mehr vorkommen kann. Dagegen würde ein Reichsgesetz, welches
die Verfassung von Els.-Lothr. betrifft, insbesondere das Ges. v. 31. Mai 1911 abän-
dert, selbstverständlich vom Reichskanzler gegenzuzeichnen sein.
2) Der Wortlaut des $ 17 ist dem Ges. v. 4. Juli 1879 $ 20 entnommen.