26 8 55. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
ten für den Fall der Annahme des letzteren solle verbinden können,
oder warum er nicht eine Erweiterung der Kompetenz mittelst
Sanktionierung des von ihm vorgeschlagenen Gesetzes solle beantragen
dürfen !).
Eine praktische Bedeutung kommt der in Rede stehenden ein-
schränkenden Klausel aber in keinem Falle zu. Denn Gesetzesvor-
schläge des Reichstages kann der Bundesrat ohnedies nach freiem
Belieben verwerfen, auch wenn sie innerhalb der Reichskompetenz
sich halten ?); stimmt er denselben aber zu und werden sie auf ver-
fassungsmäßigem Wege zum Gesetz erhoben, so wird die Gültigkeit
desselben dadurch nicht beeinträchtigt, daß der Vorschlag vom Reichs-
lage ausgegangen ist, da eben die Uebereinstimmung von Bundesrat
und Reichstag genügt, um auf Grund derselben ein Gesetz zu sanktio-
nieren.
3. Wenn eine der beiden Körperschaften einen Gesetzesvorschlag
beschlossen hat, so ist derselbe der anderen zu übermitteln. Geht der
Vorschlag vom Bundesrat aus, so wird die Vorlage »nach Maßgabe
der Beschlüsse des Bundesrates im Namen des Kaisers an den Reichs-
tag gebrachte. Reichsverfassung Art. 16. Der Reichskanzler als der
einzige Reichsminister hat die Vorlage einzubringen; er tut dies nicht
als Vorsitzender des Bundesrates, sondern als Beamter des Kaisers,
demgemäß nicht im Auftrage des Bundesrates oder im Namen der
verbündeten Regierungen, sondern im Auftrage und im Namen des
Kaisers. Ob er für die Einbringung jeder einzelnen Vorlage einer
speziellen kaiserlichen Ermächtigung bedarf, ist reichsgesetzlich nicht
bestimmt, scheint aber durch die ausdrückliche Hervorhebung, daß
1) Vgl. v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 63, 163; v. Held S. 123; Hänela.a.0O.;
Meyer 8 163, Note 11. Die richtige Ansicht ist auch im verfassungberatenden
Reichstage vom Bundeskommissar Hofmann entwickelt worden (Stenogr. Berichte
S. 819, Sp. 2). Vgl. auch HiersemenzelJI,S. 35 und Bähr in den preuß. Jahr-
büchern Bd. 28 (1871), S.80. Auch Seydel, Kommentar (2. Aufl.) S. 202 ist ihr jetzt
beigetreten. Siehe ferner v. JagemannS. 128. Dambitsch S. 176 und 426 ff.
Der hier gemachte Versuch, der Reichsgesetzgebung überhaupt gewisse Schranken
zu ziehen, besteht in rein politischen Erwägungen, widerstreitet der im Art. 78 Abs. 1
der RV. anerkannten unbeschränkten Möglichkeit der Abänderung der Verfassung
und entbehrt der rechtlichen Bestimmtheit, da es an einem verfassungsmäßigen Kri-
terium, „für welche Gebiete eine Ausdehnung der Reichskompetenz nicht in Frage
kommen kann“, fehlt. Das Erfordernis, welches Art. 78 Abs. 2 für jede Erweiterung
der verfassungsmäßigen Reichskompetenz aufstellt, ist der einzige, aber völlig ge-
nügende Schutz zur Aufrechterhaltung der Grundlagen der bundesstaatlichen Ver-
fassung.
2) Der Bundesrat könnte allerdings einen vom Reichstage an ihn gelangenden
Gesetzesvorschlag, ohne sich auf eine sachliche Prüfung seiner Bestimmungen einzu-
lassen, unter Berufung auf Art. 23 aus dem formellen Grunde zurückweisen, weil
dieser Vorschlag sich nicht innerhalb der Reichskompetenz halte. Allein da der
Bundesrat überhaupt Gründe nicht anzugeben verpflichtet ist, wenn er einem Ge-
setzesvorschlag des Reichstages seine Zustimmung versagt, so unterscheidet sich
rechtlich eine solche Zurückweisung in nichts von einer Verwerfung des Vorschlages.