Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

34 8 55. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. 
Dieser Beschluß enthält die Sanktion des Gesetzentwurfes. 
Rechtlich ist die Möglichkeit gegeben, daß die Bundesregie- 
rungen einen von ihnen dem Reichstag vorgelegten und vom Reichs- 
tage bereits genehmigten Gesetzentwurf zurückziehen, d. h. nicht sank- 
tionieren. 
Dasselbe gilt von dem Falle, wenn der Bundesrat während der 
Verhandlungen des Reichstages über die von Reichstagsmitgliedern 
oder Kommissionen gestellten Anträge oder über die in zweiter Be- 
ratung gefaßten Beschlüsse verhandelt und vor der Schlußberatung des 
Reichstages in demselben eine Erklärung abgibt, welchen Abänderungen 
er zustimmen wolle und welchen nicht. Genehmigt alsdann der Reichs- 
tag bei der Schlußabstimmung den Gesetzentwurf in der den Bundes- 
ratsbeschlüssen entsprechenden Fassung, so ist die Uebereinstimmung 
über den Gesetzesinhalt hergestellt, dessen ungeachtet aber noch ein 
Beschluß des Bundesrates erforderlich, welcher den Gesetzentwurf de- 
finitiv genehmigt, d. h. sanktioniert. 
Dieser Akt der Sanktion ist merkwürdig durch das Mißverhältnis, 
welches zwischen seiner politischen und juristischen Bedeutung be- 
steht. Politisch ist er fast ohne Belang; denn der Bundesrat wird 
natürlich einem Gesetzentwurf, dessen Inhalt er zustimmt, die Sanktion 
erteilen und umgekehrt die Sanktion verweigern, wenn er den Inhalt 
verwirft. Die politische Aufgabe ist vollständig gelöst, wenn es ge- 
lungen ist, einen Wortlaut des Gesetzentwurfs zu finden, mit welchem 
Bundesrat und Reichstag sich einverstanden erklären. Bei der über- 
wiegend durch politische Gesichtspunkte beherrschten Behandlung des 
Staatsrechts ist es daher nicht zu verwundern, daß man die Sanktion 
mit der Zustimmung zum Inhalt völlig zusammenwirft und nur der 
letzteren unfer den Erfordernissen des Gesetzes Beachtung schenkt, 
und daß auch die Reichsverfassung selbst die Sanktion der Reichs- 
gesetze gar nicht erwähnt. Juristisch ist es dagegen von größter Wich- 
tigkeit, sowohl für die Erkenntnis des Gesetzgebungsvorganges als auch 
für das richtige Verständnis des ganzen Verfassungsbaues des Reiches, 
kannt, wonach der Bundesrat beschließt: „über die dem Reichstage zu machen- 
den Vorlagen und die von demselben gefaßten Beschlüsse“. Es ge- 
nügt daher nicht, den vom Reichstag gefaßten Beschluß nur zur Kenntnis des 
Bundesrats zu bringen. Anderer Ansicht Gierke bei Grünhut Bd. 6, S. 230. Da- 
gegen haben sich die in der vorigen Note genannten Schriftsteller der hier entwickel- 
ten Ansicht angeschlossen. Frickera.a O. S.25fg. ergeht sich in einer Polemik 
dagegen, daß im Art. 7 das Sanktionsrecht des Bundesrats direkt ausge- 
sprochen sei; dies hat auch niemand behauptet; im Art. 7 ist aber festgesetzt, daß 
alle Beschlüsse des Reichstages an den Bundesrat zum Zweck der Beschlußfassung 
gelangen, und davon sind diejenigen nicht ausgenommen, welche die unveränderte 
Annahme einer vom Bundesrat bereits genehmigten Vorlage enthalten. Dem ent- 
spricht auch die Praxis des Bundesrats, soweit dieselbe bekannt geworden ist. Vgl. 
Seydel, Kommentar S. 117; G. Meyer, Anteil der Reichsorgane S. 47ff.; Fror- 
mann S. 62fg.; Dambitsch S. 174.
	        
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