Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 55. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung. 5 
man die Verkündigung den einzelnen Staaten überlassen hätte«'!). Der 
Abdruck von Reichsgesetzen in Gesetz- oder Amtsblättern der Einzel- 
staaten ist ohne jede staatsrechtliche Bedeutung; er steht auf gleicher 
Stufe mit dem Abdruck in Zeitungen oder wissenschaftlichen Werken ?). 
2. Die Verkündigung kann nur erfolgen vermittelst eines Reichs- 
gesetzblattes. Es ist diese Art der Verkündigung von Reichsgesetzen 
nach Art. 2 der Reichsverfassung die einzige, welche rechtliche 
Wirkung hat; sie kann durch kein anderes Mittel der Bekanntmachung 
ersetzt werden. Das Reichsgesetzblatt enthält daher eine vollstän- 
dige Sammlung aller Reichsgesetze; es gibt keine Reichsgesetze mit 
verbindlicher Kraft, welche nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckt sind. 
Von diesem Grundsatz hat sich in der Praxis eine allerdings nur 
scheinbare Ausnahme gebildet. Wenn nämlich durch ein Reichsgesetz 
ein Landesgesetz, welches in einem zum Reiche gehörenden Staat be- 
reits ordnungsmäßig verkündet worden ist, zum Reichsgesetz erklärt 
oder in einem anderen Gebiete des Reiches eingeführt, oder wenn auf 
dasselbe in einem Reichsgesetz Bezug genommen wird, so findet ein 
Wiederabdruck in dem Reichsgesetzblatte nicht immer statt, sondern 
es wird öfters auf den im Gesetzblatte des Einzelstaates erfolgten Ab- 
druck verwiesen, welcher dadurch vom Reiche für authentisch erklärt 
wird?) So wenig eine solche Sparsamkeit in dem Reichsgesetzblatte 
1) Diese Ansicht beruht darauf, daß Seydel ein von dem Landesgesetzgebungs- 
recht verschiedenes Reichsgesetzgebungsrecht ganz leugnet und das Reichsgesetz als 
„gleichmäßiges Landesgesetz aller Bundesstaaten“ definiert. Vgl. desselben Bayeri- 
sches Staatsrecht Bd. II, S. 341g. 
2) Vgl. auch Thudichum, Verfassungsrecht S. 94; Koller, Verfassung des 
Deutschen Reichs S. 187. Die meisten Gesetzsammlungen der Einzelstaaten enthal- 
ten sich mit Recht jeder Reproduktion des Inhaltes des Reichsgesetzblattes, da die 
in demselben abgedruckten Gesetze und Verordnungen als gemeinkundig gelten kön- 
nen. Bei den von den Einzelstaaten erlassenen Ausführungsgesetzen wird aber nicht 
selten das betreffende Reichsgesetz zur Erleichterung des Verständnisses als „An- 
lage“ abgedruckt; dies ist namentlich geschehen mit dem Münzgesetz, Impfgesetz, 
Personenstands- und Zivilehegesetz u. a. Einige Gesetzsammlungen enthalten ferner 
Inhaltsangaben der zur Versendung gelangten Stücke des Reichsgesetzblattes, so z. B. 
das Regierungsblatt von Württemberg, die Gesetzsammlung von Sachsen- 
Altenburg, das Regierungsblatt von Sachsen-Weimar. 
3) Die Praxis ist in dieser Beziehung eine sehr unregelmäßige und willkürliche. 
Sehr zahlreiche preuß. Gesetze, welche zu Reichsgesetzen erklärt oder in Reichsge- 
setzen in Bezug genommen sind, sind im Bundes- resp. Reichsgesetzblatt wieder ab- 
gedruckt; in sehr zahlreichen anderen Fällen ist dies unterblieben, und est ist ledig- 
lich auf den Abdruck in der preuß. Gesetzsammlung verwiesen. Während z. B. das 
Handelsgesetzbuch und die Wechselordnung bei ihrer Erklärung zu Gesetzen des 
Norddeutschen Bundes wieder abgedruckt worden sind, sind die im Freizügigkeits- 
gesetz vom 1. November 1867, $ 7 inbezug genommene Gothaer Konvention vom 
15. Juli 1851, die im Anleihegesetz vom 9. November 1867, $ 6 für anwendbar erklärte 
preuß. Verordnung vom 16. Juni 1819, das im Gesetz vom 19. Juni 1868, $ 1 auf die 
Bundesschuldenverwaltung ausgedehnte preuß. Gesetz vom 24. Februar 1850 u. v. a. 
nicht in dem Bundes- resp. Reichsgesetzblatt zum Abruck gelangt; und dieses Ver- 
fahren ist bisweilen auch bei solchen Gesetzen beobachtet worden, welche in einem
	        
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