Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Zweiter Band. (2)

8 57. Die Wirkungen der Reichsgesetze. 79 
2. Ein Reichsgesetz, welches für einen Teil des Bundesgebietes er- 
lassen ist, kann später auf einen anderen Teil ausgedehnt oderin 
demselben eingeführt werden. Nach dem, was oben S. 94 fg. über 
das Wesen der Verkündigung ausgeführt worden ist, bedarf es in diesem 
Falle nicht eines erneuten Abdrucks des Gesetzes. im Reichsgesetzblatt, 
sondern es genügt die Verkündigung des Gesetzes, welches die Aus- 
dehnung des Geltungsbereiches ausspricht. Die Einführung eines Reichs- 
gesetzes in einem anderen Teile des Bundesgebietes ist nicht in der 
Art aufzufassen, als wenn von diesem Zeitpunkt an zwei gleichlautende 
Gesetze des Reiches in zwei verschiedenen Geltungsbereichen herr- 
schen, sondern der einheitliche Geltungsbereich des einen Reichsge- 
setzes ist ein größerer geworden. Es kann dies bei manchen Aus- 
legungsfragen z. B. über die Bedeutung von Inland, Ausland, Inländer, 
Fremde usw. in Betracht kommen. 
3. Ein Reichsgesetz kann für einzelne Teile des Bundesgebietes 
Abänderungen oder Zusätze erhalten; ebenso kann ein für einen Teil 
des Bundesgebietes erlassenes Reichsgesetz in einem anderen Teil mit 
Modifikationen eingeführt werden. Daß in einem solchen Falle die 
besondere, für einen gewissen Gebietsteil erlassene Vorschrift der all- 
gemeinen Anordnung des Reichsgesetzes vorgeht, ist selbsverständlich, 
Von Wichtigkeit wird dies namentlich in bstreff derjenigen Reichs- 
gesetze, welche vor Einführung der Reichsverfassung mit Abänderungen 
und Ergänzungen in Elsaß-Lothringen eingeführt worden sind !). 
V. Der Gesetzgeber kann mit dem Befehl, die im Gesetz enthal- 
tenen Normen zu beobachten, zugleich eine Anordnung verbinden, von 
welchem Zeitpunkte an dieser Befehl gelten soll. Dieser Zeitpunkt 
braucht nicht für alle Bestimmungen eines Gesetzes der gleiche zu 
sein, sondern es kann stückweise in Geltung treten. (Siehe oben S. 70.) 
Es kann auch die Bestimmung des Anfangstermins vorbehalten bleiben, 
sei es einem besonderen Gesetz ?), sei es einer Verordnung des 
Kaisers ?) oder Bundesrats %). Ist aber in dem Reichsgesetz der An- 
218 desselben Gesetzes und Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Art. 15 Abs. 2. 
1) Vgl. unten 8 67. 
2) Das Gesetz vom 21. Juli 1870 (Bundesgesetzbl. S. 498) liefert ein Beispiel für 
ein Gesetz, welches lediglich die Bestimmung des Geltungstermins einer gesetzlichen 
Vorschrift zum Inhalt hat. 
5) Beispiele: Gesetz vom 23. Oktober 1867 (Bundesgesetzbl. S. 53); Gesetz 
vom 4. Juli 1868, 8 39 (Bundesgesetzbl. S. 383); Gesetz vom 8. Juli 1868, 8 70 (S. 402); 
Gesetz vom 12. Juni 1869, $ 27 (Bundesgesetzbl. S. 208); Gesetz vom 1. Juni 1870, 
$ 1, Abs. 2 (Bundesgesetzbl. S. 312) u. v. a. — Das Gesetz vom 15. Juli 1871 bestimmt 
zwar den Anfangstermin seiner Geltung, ermächtigt aber den Kaiser, die Vorschrift 
in 81 schon vor dem gesetzlichen Termin durch Verordnung in Wirksamkeit zu 
setzen. (Reichsgesetzbl. S. 325. Die kaiserl. Verordnung S. 326). Vgl. 81 des Ein- 
führungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz. Die gleiche Bestimmung findet sich 
in vielen anderen Reichsgesetzen; sie sind so zahlreich, daß sie hier nicht aufge- 
führt werden können. 
4) Das Münzgesetz vom 9. Juli 1873, Art. 1, Abs. 2 erforderte eine mit Zustim-
	        
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