Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

118 8 74. Das Eisenbahnwesen. 
Was bedeutet aber der Ausdruck »die deutschen Eisenbahnen wie ein 
einheitliches Netz zu verwalten«? Die »Einheitlichkeit« des Bahn- 
netzes kann in sehr verschiedenem Sinne verstanden werden. Sie könnte 
so weit durchgeführt werden, wie hinsichtlich der Post und Telegraphie, 
die nach Art. 48 auch als »einheitliche Staatsverkehrsanstalten einge- 
richtet und verwaltet werden«, und man könnte daraus die Befugnis 
des Reichs zu sehr weitgehenden Eingriffen in die Eisenbahnverwal- 
tung der Einzelstaaten herleiten. Man kann andererseits das »ein- 
heitliche Netz« schon dann für hergestellt ansehen, wenn die in den 
folgenden Artikeln der Reichsverfassung vorgeschriebenen Einrichtungen 
vorhanden sind !); so daß das Aufsichtsrecht des Reichs sich darauf 
beschränkt. Die Vorschriften der Reichsverf. legen den Einzelstaaten 
keine anderen Verpflichtungen auf als die im 7. Abschnitt enthaltenen; 
aber sie hindern das Reich nicht, auf Grund der im Art..4, Ziff. sihm 
beigelegten allgemeinen Zuständigkeit über das Eisenbahnwesen den 
Eisenbahnverwaltungen durch Reichsgesetz weitergehende Verpflich- 
tungen aufzuerlegen. Solche Gesetze bedürfen nicht der Form der ver- 
fassungsändernden Gesetze. Erst ein Eisenbahngeseiz kann dem un- 
bestimmten und vieldeutigen Satz des Art. 42 einen klaren und prä- 
zisen Inhalt beilegen. Man darf nicht übersehen, daß das Reich an 
dem finanziellen Erträgnis der Eisenbahnunternehmungen (abgesehen 
vom Reichslande) unbeteiligt ist, und daher jeder Eingriff in die Selbst- 
bestimmung der Eisenbahnverwaltungen eine Verfügung über fremde 
Kassen ist?). | 
Insbesondere läßt Art. 42 es auch ganz unhestimmt, in welcher 
Form und durch welches Organ resp. mit welchen Mitteln das Reich 
befugt ist, die einzelne Bundesregierung zu zwingen, die Verpflichtung, 
welche sie nach Art. 42 übernommen hat, zu erfüllen. 
Eine nähere Bestimmung hat der Art. 42 jedoch erhalten durch 
Art. 43 und Art. 46, Abs. 3, welche folgende drei Rechtssätze auf- 
stellen: 
1. »Es sollen demgemäß in tunlichster Beschleunigung überein- 
stimmende Betriebseinrichtungen getroffen, insbesondere gleiche Bahn- 
Befugnis gewährt, Anordnungen oder Befehle zu erlassen“. Vgl. auch Hänel, Stu- 
dien Bd. 2, 8. 73, 82fg.; Eger S.6l. Seydel, Komment. S. 273. 
1) Auch von den bayrischen und selbst von den österreichisch-ungarischen Eisen- 
bahnen kann man sagen, daß sie in der Art betrieben werden, daß sie mit den an- 
deren deutschen Eisenbahnen ein „einheitliches Netz“ in diesem Sinne bilden. 
2) Eine vollständige Einheit der Verwaltung setzt voraus, daß der Be- 
trieb auf gemeinschaftliche Rechnung geht. Nachdem der Bismarcksche 
Plan des Erwerbes der deutschen Eisenbahnen für das Reich 1876 gescheitert ist — 
vgl. darüber Alex. Krüger, Zur Geschichte des Bismarckschen Reichseisenbahnpro- 
jekts. Berlin 1909 — kann dies dadurch erreicht werden, daß zunächst die Privat- 
bahnen verstaatlicht werden, was zum allergrößten Teil geschehen ist, und sodann unter 
den Staaten Eisenbahn-Sozietäten abgeschlossen werden, wie dies zwischen Preußen 
und Hessen erfolgt ist.
	        
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