Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

$ 77. Das Maß3- und Gewichtswesen. 201 
rat auf Grund des Art. 54 der Reichsverfassung erlassen worden. 
Art. 54, Abs. 2 lautet: »Das Reich hat das Verfahren zur Ermittelung 
der Ladungsfähigkeit der Seeschiffe zu bestimmen, die Ausstellung der 
Meßbriefe, sowie der Schiffszertifikate zu regeln.« Diese Verfassungs- 
bestimmung erkennt die Zuständigkeit des Reiches im Gegensatz zur 
Zuständigkeit der Einzelstaaten an, enthält aber keine Vorschrift über 
die Form, in welcher die Anordnungen zu ergehen haben. Der 
Art. 54, Abs. 2 sagt nicht: der Bundesrat hat das Verfahren usw. 
zu bestimmen, sondern schweigt über die Organe, durch welche das 
Reich seine Anordnungen zu erlassen hat. Es kommen sonach die 
allgemeinen Vorschriften der Reichsverfassung zur Anwendung. Dem 
Bundesrat steht nach Art.7, Ziff.2 nur der Erlaß von allgemeinen 
Verwaltungsvorschriften zu. Die Schiffsvermessungsordnung geht 
aber darüber hinaus, sie enthält Rechtsvorschriften; denn sie be- 
gründet rechtliche Verpflichtungen der Erbauer, Rheder und des 
Führers eines Schiffes in bezug auf die Vermessung desselben ($ 30 ff.), 
sie regelt das Vermessungss ystem und sie normiert indirekt die Be- 
rechnung gewisser Schiffahrtsabgaben; sie charakterisiert sich über- 
haupt als ein Spezialgesetz zur Ergänzung der Maß- und Gewichlts- 
ordnung und hätte deshalb wie diese im Wege der Gesetzgebung 
erlassen werden sollen '). 
Die Vorschriften der Schiffsvermessungsordnung, soweit dieselben 
von rechtlicher Erheblichkeit sind, bestehen in folgenden Sätzen: 
1. Alle Schiffe, Fahrzeuge und Boote, welche ausschließlich oder 
vorzugsweise zur Seefahrt im Sinne der Bekanntmachung vom 10. No- 
vember 1899 (Zentralbl. S. 380), betreffend Ausführungsbestimmungen 
zum $ 25 des Flaggengesetzes vom 22. Juni 1899, bestimmt sind, unter- 
liegen der Vermessungspflicht?). Die Vermessung erfolgt nach metri- 
schem Maße und ist darauf gerichtet, den Raumgehalt des 
schiffe kommt der Vertrag der Rheinuferstaaten vom 4. Februar 1898 (Reichsge- 
setzbl. 1899, S. 299) zur Anwendung. 
1) Vgl. Bd. 1, 8 58. Der Schiffsvermessungsordnung mangelt daher die Rechts- 
verbindlichkeit soweit sie nicht bloße Verwaltungsvorschriften für die Schiffsvermes- 
sungs behörden enthält. Zustimmend Meyer, Verwaltungsrecht, 8 105, Note 1. 
Wagner, S. 172, Note 9. Für ganz ungültig halten die Schiffsvermessungsordnung 
Hänel, Studien Il, S.84 ff. und Staatsrecht I, S. 2831; Hensel in Hirths Annalen 1882, 
S. 36; andererseitsfür vollkommen rechtswirksam Seydel, KommentarS.304;Löning, 
S. 657, Note 1; Arndt, Verordnungsrecht S. 140 und Staatsrecht S. 254 auf Grund 
seiner oft widerlegten Ansicht über das Verordnungsrecht des Bundesrats. Gegen ihn 
erklärt sich auch Seydela.a. OÖ. Zorn JIJ, S. 877 meint, die Schiffsvermessungs- 
ordnung hätte in der Form des Gesetzes erlassen werden sollen; daß dies nicht ge- 
schehen, berühre aber ihre Rechtskraft nicht; denn — fügt er in der Anmerkung hin- 
zu — alle Verwaltungsvorschriften sind Rechtssätze! Dies ist nicht nur, wie Wag- 
ner mit Recht bemerkt, unverständlich, sondern — mehr als dies. 
2) Schiffsvermessungsordnung $ 1 in der Fassung der Bekanntmachung vom 
12. April 1908.
	        
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