Full text: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Siebenter Jahrgang. 1891. (32)

200 Die Oefterreithisch-Angariste Menarchhie. (Oktober 1.—2.) 
einberufen, die von ca. 600 Personen besucht wird und wo die radikalsten 
nationalen Prätensionen laut werden. Gegen die gemäßigteren „Realisten“ 
wie Mazaryk wird scharf losgezogen und eine Resolution angenommen, deren 
Kardinalpunkt lautet: „Die gegenwärtige wirtschaftliche Lage in Böhmen, 
Mähren und Schlesien ist von großem Schaden für die Bauernschaft dieser 
Länder; unsere Hauptbestrebungen müssen dahin gerichtet sein, ein besseres 
Verhältnis der Länder der böhmischen Krone zu den übrigen Kronländern 
des Reiches herzustellen durch Errichtung des tschechischen Staates auf Grund 
des historischen Staatsrechtes.“ Der gewesene Obmann des Bauernvereins 
in Mähren, Vichodyl, sagt u. a.: „Die Tschechen in Böhmen und Mähren 
bilden ein Volk. Sie wollen daher Einen König haben. Wir unternehmen 
nichts Neues“, bemerkt Redner weiter, „wir stellen bloß die alten Bande 
wieder her, deren Gewebe die Zeit stellenweise beschädigt hat. Weil aber 
die Zeit vorgeschritten ist und eine Deputation an den König nicht mehr 
abgesendet werden kann, so mögen sich die jungtschechischen Abgeordneten dafür 
einsetzen und die Gesinnungen der tschechischen Bauern aus Böhmen, 
Mähren und Schlesien zum Ausdruck bringen.“ Hier macht der landes- 
fürstliche Kommissar darauf aufmerksam, daß er über diese Frage nicht ver- 
handeln lassen könne. 
1. Oktober. (Prag.) In der Sitzung des Stadtrates erklärt 
der Bürgermeister auf eine Interpellation, der Kaiser Franz 
Joseph habe die in den Zeitungen veröffentlichten Worte in be- 
treff der Vorgänge bei dem Empfange der fremden Ausstellungs- 
gäste thatsächlich gesagt. Da der Kaiser jedoch am Mittwoch einer 
Deputation des Prager Stadtrates erklärt habe, daß ihn die Be- 
thätigung der dynastischen Gefühle der Einwohnerschaft sehr gefreut 
habe, so könne sich der Ausspruch des Kaisers nur auf jene Ele- 
mente bezogen haben, welche jene Vorfälle veranlaßten. Durch die 
Worte des Kaisers an den Stadtrat sei der erste Ausspruch somit 
begrenzt. 
1. Oktober. Der Kaiser stattet der Stadt Reichenberg, der 
größten deutschen Stadt in Böhmen, einen Besuch ab und wird 
mit Enthusiasmus ausgenommen. In der Nacht vorher ist kurz 
vor Reichenberg bei Rosenthal die Strecke, welche der kaiserliche 
Bahnzug zu passieren hatte, unterbrochen worden durch die Spren- 
gung eines Ueberganges. Absicht und Ursprung dieses Attentates 
bleiben zweifelhaft. 
2. Oktober. (Prag.) Der Keaiser richtet an den Statthalter 
Grafen Thun nachstehendes Handschreiben: 
„Ich bin an die Ausführung Meines seit langem gehegten Vor- 
habens, Mein geliebtes Königreich Böhmen nach einer Reihe von Jahren 
wieder zu besuchen, in der Ueberzeugung geschritten, hier allerorts einer von 
angestammter Treue und hingebungsvoller Anhänglichkeit an Mich und Mein 
Haus beseelten Bevölkerung zu begegnen. Meine Erwartung fand in dem 
Mir in patriotischem Wetteifer bereiteten festlichen Empfange und in den 
Mein väterliches Herz wahrhaft beglückenden loyalen Kundgebungen, deren
	        
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