Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

8 84. Die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit. 373 
Gewährung dieser staatlichen Hilfe; das Gesuch, ein sub- 
jektives Recht unter den Schutz des Staates zu nehmen und dadurch 
seine Anerkennung und Verwirklichung zu sichern, eventuell sie zu er- 
zwingen!) Das Urteil ist die Entscheidung über Ge- 
währung oder Versagung dieser Bitte. Dieses Urteil ist 
durch die Beantwortung von zwei ganz verschiedenen Vorfragen be- 
stimmt; erstens ob im konkreten Falle alle diejenigen Voraussetzungen 
vorhanden sind, unter denen der Staat die Pflicht zur Einsetzung seiner 
Gewalt anerkennt, der Kläger also einen Anspruch gegen den 
Staat auf Gerichtshilfe hat, und zweitens ob dem Kläger gegen 
den Verklagten der von ihm behauptete Rechtsanspruch zusteht. 
Die erste Frage betrifft das staatsrechtliche (Prozeß-)Verhältnis, gehört 
also dem Öffentlichen Rechte an; die zweite betrifft das dem Prozeß 
vorausgehende, zu demselben nur den Anlaß gebende Rechtsverhält- 
nis und ist gewöhnlich eine privatrechtliche ?). 
S. 555), und hiergegen ist durch Beschwerde bei der höheren Instanz und durch die 
Mittel der Disziplinargewalt Abhilfe zu gewinnen; dagegen der Staat, welcher 
Recht weigert, verletzt die aus seinem Zweck sich ergebende Schutzpflicht; hier 
gibt es dem souveränen Staat gegenüber keine Hilfe, dagegen in Deutschland 
gegenüber den Einzelstaaten eine Beschwerde an das Reich (Bundesrat) auf Grund 
des Art. 77 der Reichsverfassung. Vgl. Hänell,S. 737 £. 
1) Dieses publizistische Klagerecht, d. h. der Anspruch gegen den Staat auf 
Rechtsschutz, ist daher zu unterscheiden einerseits von dem Privatrechtsanspruch 
gegen den Prozeßgegner und andererseits von der rein tatsächlichen Möglichkeit, 
bei Gericht eine Klage zu erheben, der es an jeder objektiven Grundlage fehlen kann. 
Der Rechtsgrund des Klagerechtsistdas Untertanenverhältnis 
und die ihm entsprechende Herrschaft und Schutzpflicht des Staates, die sich 
ja auch auf Ausländer erstreckt und zu ihren Gunsten gehandhabt wird. Das privat- 
rechtliche Verhältnis, aus welchem ein Anspruch erhoben wird, ist nicht die „Quelle“ 
des Klagerechts, wie die ältere Lehre annahm, sondern die rechtlich notwendige 
Voraussetzung zur Gewährung des Rechtsschutzes. Ebensowenig „erzeugt“ 
die Handlung der Klageerhebung, wie R. Löning, Widerklage S. 118 fg. annimmt, 
den Anspruch, dessen Befriedigung das Urteil darstellt, sondern sie ist der Beginn 
seiner Geltendmachung. Vgl. die zutreffende Erörterung von Wach, Zivilprozeß 
S. 22 fg. (besonders Note 27), der aber zu weit ging, indem er das publizistische 
Klagerecht ganz verwarf: die richtige Auffassung hat er nun selbst, Feststellungs- 
anspruch (Leipzig 1889) S. 22 ff., in überzeugender Klarheit entwickelt. — Die Auf- 
fassung der Klage im Zivilprozeß als des öffentlich rechtlichen Anspruchs 
gegen den Staat auf Rechtsschutz hat in der neueren Literatur des Staats- und Pro- 
zeßrechts sehr zahlreiche Anhänger gefunden und ist die überwiegend herrschende 
geworden. Vgl. Hellwig, Klagrecht (1905) S. 2ff., Lehrb. des Zivilproz. I, S. 148. 
System (1912) 1, S. 295. Rich. Schmidt, Zivilproz. (2. Aufl), S. 1,8 ff. und die 
zahlreichen daselbst S. 16 Note 2 enthaltenen Literaturangaben. Ferner Pagen- 
stecher, Materielle Rechtskraft (1905) S. 29 ff., 3. ff. Jellinek, System (2. Aufl. 
1905) S. 24 f£.; Otto Mayer,D. Verw.-R. I, S. 112; James Goldschmidt, 
Materielles Justizrecht, Berlin 1905, S. 6 ff. 
2) Auf diesen, für die wissenschaftliche Erkenntnis des Zivilprozeßrechts ent- 
scheidenden Gegensatz mit Nachdruck hingewiesen zu haben, ist das große Verdienst 
Bülows. Vgl. dessen Lehre von den Prozeßeinreden und Prozeßvorauss., Gießen 
1868, S. 1 ff. und seine trefflichen Abhandlungen im Archiv für zivil. Praxis Bd. 62,
	        
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