Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

492 $ 92. Die Zeugenpflicht. 
durch einen beauftragten Beamten gestattet, wenn dem Erscheinen 
desselben vor der Disziplinarkammer Krankheit,. große Entfernung 
oder andere unabwendbare Hindernisse entgegenstehen; hierdurch ist 
e contrario die Gestellungspflicht des Zeugen anerkannt, wenn der- 
gleichen Entschuldigungsgründe nicht vorliegen; es wäre aber sinnlos, 
die Pflicht der Zeugen, vor der Disziplinarkammer zu erscheinen, aber 
nicht die Pflicht, ihr eine Aussage zu machen, gesetzlich anzuerkennen. 
Hiernach ergibt sich als der Sinn des Gesetzes, daß die Zeugenpflicht 
im Disziplinarverfahren gegenüber den Disziplinarkammern und dem 
Disziplinarhofe ($ 116, Abs. 4 des Gesetzes) besteht '). 
In dem Reichsgesetz fehlen aber Vorschriften über die Geltend- 
machung des Zeugenzwanges und über die zulässigen Zwangsmittel. 
Diese Unvollständigkeit blieb bei dem Erlasse des Gesetzes nicht un- 
bemerkt; man war sich bewußt, daß die Vorschriften des Beamten- 
gesetzes über das Disziplinarverfahren einer Ergänzung bedürfen, und 
diese Ergänzungen sollten die Strafprozeßordnungen der Einzelstaaten 
bieten ?). An die Stelle der letzteren ist jetzt die Reichsstrafprozeßord- 
nung getreten, und so ergibt sich als Resultat, daß die Vorschriften 
derselben über die Zeugenpflicht und den Zeugenzwang im Disziplinar- 
verfahren gegen diejenigen Beamten, auf welche das Reichsbeamten- 
gesetz Anwendung findet, Geltung haben. 
II. Die zeugenpflichtigen Personen. Die Zeugen- 
pflicht ist keine Untertanenpflicht°) wie die Wehrpflicht oder wie die 
Gerichtspflicht der Schöffen und Geschworenen, sondern sie ist ledig- 
lich der Reflex eines Zwanges, den die Staatsgewalt zum Zweck der 
Handhabung des Rechtsschutzes ausübt, sie ist ein Anwendungsfall 
des Gehorsams gegen die Gerichtsgewalt. Nicht die persönliche 
Staats- oder Reichsangehörigkeit ist eine Voraussetzung der Zeugen- 
pflicht, sondern dieselbe trifft jeden, der tatsächlich, d.h. räumlich 
der Staatsgewalt unterworfen ist. Es ergeben sich hieraus folgende 
Konsequenzen: 
1. Personen, welche sich im Inlande aufhalten, 
sind zeugenpflichtig, gleichviel ob sie reichsange- 
hörigoder fremd sind. Hiervon sind nur diejenigen Personen 
ausgenommen, welche von der Gerichtsgewalt eximiert sind; das sind 
die Landesherren und die Chefs und Mitglieder der beim Deutschen 
1) Dies ist auch die herrschende Ansicht. Anderer Ansicht ist v. Lilienthal 
2.2.0. 
2) In den Motiven zum Reichsbeamtengesetz (vgl. Drucksachen des Reichs- 
tages 1872, Nr. 9) S. 43 ff. ist dies wiederholt hervorgehoben; namentlich heißt es 
daselbst S. 44: „Ueber die Beweisaufnahme, namentlich die Vernehmung von Zeugen, 
deren Vorladung, Zwang zum Erscheinen und Beeidigung, werden die Re- 
gelndesgewöhnlichen Strafverfahrens gelten müssen“ 
3) Die Ansicht, daß die Zeugenpflicht eine staatsbürgerliche Pflicht sei, ist sehr 
verbreitet. Auch Dochow.a.a. O. S. 28 ff. hält noch an ihr fest; ebenso Glaser 
in v. Holtzendorffs Rechtslexikon III, S. 1403 (3. Aufl. 1881).
	        
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