8 71. Die Gesandtschaften. 3
Bedeutung, da sie über das Verhältnis des Gesandtschaftsrechtes des
Reiches zu dem Gesandtschaftsrecht der Einzelstaaten positive Auskunft
geben, während die Reichsverfassung über das Gesandtschaftsrecht der
Einzelstaaten völlig schweigt!').
1. Das aktive Gesandtschaftsrecht der Bundesglieder ist mit dem
des Reiches konkurrierend; d. h. die Einzelstaaten sind nicht nur be-
fugt, an den Höfen, an welchen keine Reichsgesandtschaften bestehen,
Landesgesandtschaften zu halten ?), sondern sie können neben der
Reichsgesandtschaft eine Landesgesandtschaft errichten. Während der
Art. 56 der Reichsverfassung die Errichtung neuer Landeskonsulate
in dem Amtsbezirk der deutschen Konsuln untersagt, erwähnen die
angeführten Art. VII und VIII ausdrücklich das Nebeneinanderbestehen
von Reichsgesandtschaften und bayerischen Gesandtschaften an den-
selben Höfen. Nur für Preußen ist aus tatsächlichen und völkerrecht-
lichen Gründen es nicht möglich, neben dem Reichsgesandten einen
Landesgesandten zu beglaubigen, wegen der Personenidentität des Kai-
sers und Königs’).
2. Die Reichsgesandtschaften haben nicht nur die Rechte und In-
teressen der Gesamtheit, sondern auch diejenigen der Einzelstaaten
und aller ihrer Angehörigen zu vertreten und wahrzunehmen. Es
gehört dies zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes, welche
nach dem Eingang zur Reichsverfassung eine Aufgabe des Bundes
bildet, und ist im Art. 3, Abs. 6 der Reichsverfassung anerkannt. Es
ist demgemäß die Errichtung von Landesgesandtschaften entbehrlich,
wo Reichsgesandtschaften bestehen, und wenn ein einzelnes Bundes-
glied in einem ausländischen Gebiete so erhebliche Interessen wahr-
zunehmen hat, daß ihm eine dauernde diplomatische Vertretung ge-
boten erscheint, so kann es zunächst die Errichtung einer Reichsge-
sandtschaft in Anregung bringen. Für den Fall der Ablehnung bleibt
ihm das Mittel, eine Landesgesandtschaft zu errichten, vorbehalten.
3. Wenn in demselben Staate eine Reichsgesandtschaft und eine
Landesgesandtschaft bestehen, so tritt zwischen beiden eine Teilung
der Geschäfte ein. Die Vertretung der Sonderinteressen des Einzel-
staates, seines Souveränes und seiner Angehörigen ist zunächst Sache
der Landesgesandtschaft und dem Reichsgesandten entzogen. Es ist
dies in dem bayerischen Schlußprotokoll Art. VIII anerkannt, und zwar
nicht in dem dispositiven Teile desselben, welcher ein finanzielles
J) Esch, Das Gesandtschaftsrecht der deutschen Einzelstaaten, Bonn 1911.
2) Es ergibt sich aber aus dem bundesstaatlichen Verhältnis und der ausschließ-
lichen Befugnis des Reichs zur Wahrnehmung der politischen Gesamtinteressen, daß
die Einzelstaaten nur mit solchen Staaten, welche das Reich anerkannt hat, einen
diplomatischen Verkehr unterhalten können. G. Meyer, Staatsrecht S. 237; Hänel
S. 552.
3) Preußische Gesandtschaften bestehen nur an den deutschen Fürsten-
höfen und freien Städten und außerdem beim Papst. Ueber den diplomatischen Ver-
kehr zwischen Preußen und den anderen Bundesstaaten siehe Bd. I, S. 252.