Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Dritter Band. (3)

4 $ 71. Die Gesandtschaften. 
Sonderrecht Bayerns begründet, sondern als ein tatsächlicher Erwä- 
gungsgrund, der auf alle Bundesglieder, nicht nur auf Bayern, An- 
wendung findet; nämlich sin Erwägung des Umstandes, daß 
an denjenigen Orten, an welchen Bayern eigene Gesandtschaften unter- 
halten wird, dieVertretung derbayerischenAngelegen- 
heiten dem Bundesgesandten nicht obliegt. Dem 
Gesandten eines Bundesgliedes kann zugleich von einem anderen 
Bundesgliede Vollmacht erteilt und ihm die Vertretung auch dieser 
besonderen Landesinteressen übertragen sein, so daß er wie ein ge- 
meinschaftlicher Gesandter mehrerer Bundesglieder anzusehen ist. Das 
Reich hat kein Einspruchsrecht dagegen, wenn die Regierung eines 
Bundesgliedes es vorzieht, die Vertretung ihrer besonderen Interessen 
lieber dem Gesandten eines anderen Bundesgliedes als dem Reichs- 
gesandten zu übertragen. 
Zu den besonderen Angelegenheiten gehören die Beziehungen des 
Landesherrn und seiner Familie zu den Mitgliedern des auswärtigen 
souveränen Hauses; ferner die Interessen des Einzelstaates für alle 
seiner Kompetenz unterliegenden Gegenstände, insbesondere die För- 
derung von Kunst und Wissenschaft, z. B. die Anschaffung von Wer- 
ken für Kunstsammlungen und Bibliotheken oder die Errichtung und 
Unterhaltung von Anstalten im Auslande für künstlerische oder wis- 
senschaftliche Arbeiten; sodann Auslieferungsanträge !); endlich die 
Privatangelegenheiten der Angehörigen des Einzelstaates ?). 
Dem Reichsgesandten liegt die Wahrnehmung derjenigen In- 
teressen ob, welche die Gesamtheit der Bundesglieder, das Reich als 
Ganzes, angehen, und die Vertretung der Sonderinteressen derjenigen 
Bundesglieder und ihrer Angehörigen, für deren Vertretung durch eine 
Landesgesandtschaft nicht Sorge getragen ist. Alle Angelegenheiten, 
welche durch die Reichsverfassung oder durch besondere Gesetze zu 
gemeinschaftlichen des Reiches erklärt sind, gehören deshalb aus- 
schließlich zu dem Geschäftskreise der Reichsgesandten. Dahin sind 
zu zählen: alle Angelegenheiten derauswärtigenPolitik. Denn 
da das Reich allein Krieg erklären und Frieden schließen kann und 
der Kaiser den Oberbefehl über die Machtmittel des Reiches (Heer und 
Marine) hat, so ist auch die gesamte auswärtige Politik, die hiervon 
untrennbar ist, für das ganze Reich notwendig eine einheitliche und 
eine für alle Bundesglieder gemeinschaftliche Angelegenheit. Dasselbe 
gilt von allen internationalen Handels- und Schiffahrtsan- 
gelegenheiten und der Handelspolitik wegen der verfassungsmäßig 
anerkannten Einheit des Zollgebietes und der Handelsmarine. Ferner 
1) Vgl. Protokolle des Bundesrats 1876, $ 146, S. 104. 
2) Dahin gehört insbesondere die Ausstellung von Attesten. Vgl. z. B. die Be- 
kanntmachung vom 6. Januar 1873 betreffend die Zurückstellung der in Rußland leben- 
den deutschen Militärpflichtigen. Zentralblatt 1873, S. 16.
	        
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