8 71. Die Gesandtschaften. 5
gehören hierher die Angelegenheiten des Post- und Telegraphenwesens!),
die internationalen Militär- und Marineangelegenheiten, Niederlassungs-
verhältnisse, Freizügigkeit zwischen dem Gebiete des Reiches und dem
des auswärtigen Staates, Gewerbebetrieb der Deutschen im Auslande
oder der Ausländer in Deutschland sowie Unterstützung und Ueber-
nahme hilfsbedürftiger Angehöriger, Auswanderungssachen, internatio-
nale Verhandlungen über das Maß-, Münz- und Gewichtssystem, über
Patentschutz, den Schutz von Fabrikzeichen und Warenmarken, über
Musterschutz und Schutz des Urheberrechts, über die Rechtshilfe und
die Beglaubigung von öffentlichen Urkunden, über internationale Maß-
regeln der Medizinal- und Veterinärpolizei, über Angelegenheiten des
Preß- und Vereinswesens; alle die Reichsfinanzen berührenden inter-
nationalen Angelegenheiten; endlich alle Angelegenheiten, welche zum
Gegenstande eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen dem Deutschen
Reich und dem Staat, bei dessen Souverän der Reichsgesandte be-
glaubigt ist, gemacht worden sind.
In allen diesen Angelegenheiten ist jede Einmischung eines Landes-
gesandten ohne Zustimmung des Reichsgesandten eine unbefugte; sie
ist eine Ueberschreitung der den Bundesgliedern verbliebenen Kompe-
tenz und kann selbst eine Verletzung der verfassungsmäßigen Bundes-
pflichten sein, so daß im äußersten Falle Art. 19 der Reichsverfassung
in Anwendung gebracht werden könnte’).
Neben dieser ausschließlichen Kompetenz der Reichsge-
sandten steht denselben eine subsidiäre oder eventuelle zu, indem
sie die Sonderinteressen aller Bundesglieder und die Privatrechte aller
Reichsangehörigen wahrzunehmen haben, wofern nicht durch eine
Landesgesandtschaft für die Vertretung derselben gesorgt ist.
4. Aus den vorstehenden Erörterungen ergibt sich die Folgerung,
daß, wenn eine Landesgesandtschaft aufgehoben oder zeitweilig
außer Wirksamkeit getreten ist, die bei derselben Regierung bestehende
Reichsgesandtschaft kraft der ihr zustehenden allgemeinen subsidiären
Kompetenz ipso jure den Geschäftskreis der Landesgesandtschaft über-
kommt, ohne daß sie dazu besonders ermächtigt und beauftragt zu
werden braucht; es sei denn, daß die Gesandtschaft eines anderen
Bundesgliedes mit der interimistischen Vertretung beauftragt und da-
durch die subsidiäre Kompetenz des Reichsgesandten ausgeschlossen
wird. Wenn dagegen ein Reichsgesandter abberufen wird oder zeit-
1) Abgesehen von dem Sonderrechte Bayerns und Württembergs gemäß Reichs-
verfassung Art. 52, Abs. 3.
2) Wenn der Reichsgesandte glaubt, daß der Einfluß und die Tätigkeit eines
Landesgesandten zur Geltendmachung allgemeiner deutscher Interessen von Nutzen
sein könnte, so ist eine Mitwirkung des Landesgesandten nicht nur zulässig, sondern
durch die Gemeinsamkeit der deutschen Interessen geboten, und es ist dementsprechend
in dem bayer. Schlußprotokoll vom 23. November 1870, Art. VII, Abs. 2, von seiten
Bayerns die Zusicherung erteilt worden, daß die bayerischen Gesandten angewiesen
sein würden, in einem solchen Falle den Reichsgesandten ihre Beihilfe zu leisten.