128 $ 105. Die Kriegsmarine.
fene Rechtszustand der, daß das gesetzlich unbeschränkte Organisa-
tionsrecht des Kaisers und das ebenso unbeschränkte Ausgabenbewil-
ligungsrecht des Bundesrats und Reichstags sich unvermittelt gegen-
überstanden und zur Quelle von Konflikten werden konnten. Für die
Aufstellung des Etats ist eine gesetzlich feststehende Organisation ebenso
wie für jede andere Verwaltung eine unerläßliche Voraussetzung, wenn
uicht Willkür im Fordern und Willkür im Versagen bestehen sollen.
So wie für das Heer die Grundlagen der Organisation, nämlich die
Zahl der Kadres der einzelnen Waffengattungen und die normale Frie-
denspräsenzstärke, festgestellt worden sind, so war eine reichsgesetz-
liche Feststellung der organisatorischen Grundlagen auch für die Ma-
rine möglich und aus staatsrechtlichen Gründen geboten. Die Bedeu-
tung, welche die Kadres der Truppen und die Friedenspräsenzstärke
für das Heer haben, kommt bei der Marine der Zahl und Art der zur
Verwendung bereiten Schiffe und ihrer Indienststellung zu.
Auf diesen beiden Faktoren beruhen die Organisation und Formation
der Flotte und der Marineetat. Durch die Feststellung der Zahl und
Art der Schiffe, welche vorhanden sein müssen, und des Maßes ihrer
Indienststellung und Besatzung ergibt sich im wesentlichen die Summe
der Leistungen an Geld und Diensten, welche die Nation für die Ma-
rine aufzubringen hat, da die anderen für die Marine erforderlichen
Aufwendungen von diesen Faktoren abhängig sind. Hierzu kommt
die für den Kriegsfall erforderliche Verstärkung der Kriegsflotte, welche
das Vorhandensein von Reserveschiffen und Besatzungsstämmen vor-
aussetzt.
Diesen staatsrechtlichen Gesichtspunkten wurde entsprochen durch
das Flottengesetz vom 10. April 1898 (Reichsgesetzbl. S. 165)". Es
wurde aber infolge der im spanisch-amerikanischen Kriege gemachten
Erfahrungen und der Vergrößerung der Kriegsflotten anderer Staaten,
sowie mit Rücksicht auf die sich steigernden überseeischen politischen
und handelspolitischen Interessen des Reiches alsbald als ungenügend
erkannt und durch das Flottengesetz vom 14. Juni 1900 (Reichsgesetz-
blatt S. 255) ersetzt, welches durch die Gesetze vom >. Juni 1906, 6. April
1908 und vom 14. Juni 1912 abgeändert wurde und am 27. Juni 1912
(Reichsgesetzbl. S. 435) eine neue Fassung erhalten hat. Durch dieses
1) Daß dies nicht früher geschehen ist, erklärt sich aus der verhältnismäßigen
Jugend der deutschen Marine. Bei der Errichtung des Norddeutschen Bundes waren
nur geringe Anfänge in der preußischen Marine vorhanden; der Entwicklung der
Reichsmarine wollte man nicht durch voreilige Aufstellung einer gesetzlichen Scha-
blone vorgreifen. Die verschiedenen „Flottengründungspläne“, welche den Etats-
gesetzentwürfen beigegeben oder dem Reichstage gelegentlich mitgeteilt wurden,
hatten keine bindende Gesetzeskraft. Bis zum Erlaß des Flottengesetzes waren die
Vorschriften über die Organisation der Marine enthalten in den durch kaiserlichen
Erlaß vom 14. Juni 1888 genehmigten „Organisatorischen Bestimmungen für die kai-
serliche Marine“, Berlin 1888, die vielfach abgeändert und ergänzt worden sind. Eine
neue Fassung 189.