$ 96. Die Einheitlichkeit des Militärrechts u. der Heereseinrichtungen. 13
zu und setzte ihn dadurch in den Stand, ein vollkommen einheit-
liches, formell gemeinverbindliches, alle Seiten des Heerwesens voll-
ständig regelndes Militärrecht zu schaffen. Für die Dauer war diese
Befugnis des Bundes zwar völlig ausreichend und bedurfte keiner Er-
gänzung; für den Augenblick aber war sie ungenügend und wirkungs-
los, da die Herstellung einer umfassenden Bundesmilitärgesetzgebung
ein schwieriges, zeitraubendes und von unvorherzusehenden Hinder-
nissen bedrohtes Werk war. Es war unmöglich, bis zur glücklichen
Lösung einer so weitreichenden legislatorischen Aufgabe die zahl-
reichen partikulären Militärordnungen fortgelten zu lassen. Ueberdies
kam es nicht darauf an, ein wirklich neues Militärrecht zu schaffen
und eine neue Heereseinrichtung zu treffen. Man hatte vielmehr in
Preußen eine mustergültige, in Frieden und Krieg bewährte Organi-
sation, eine bis in das feinste Detail ausgebildete und durch eine lang-
jährige und reiche Praxis erprobte Armeeverwaltung und eine in dem
Rechtsbewußtsein und in den Lebensverhältnissen des Volkes, sowie
in den Traditionen der gesamten Staatsverwaltung festwurzelnde Mili-
tärrechtsordnung und Gesetzgebung. Es lag keine Veranlassung vor,
an dieser Ordnung des Heerwesens zu rütteln oder sie in Frage zu
stellen‘); was für den weitaus größten Teil des Bundes in Geltung
stand, konnte auf den übrigen Teil ausgedehnt werden, zumal im
Königreich Sachsen eine Reorganisation der Armee ohnedies infolge
des Krieges von 1866 notwendig war, die anderen Bundesstaaten aber
zu klein waren, als daß sie eine Militärgesetzgebung von selbständiger
Bedeutung hätten schaffen können.
Die sofortige Herstellung der Rechtseinheit im Bunde war daher
zu erreichen, indem man den Geltungsbereich der preußischen Gesetz-
gebung auf das ganze Bundesgebiet erstreckte. Demgemäß verordnete
der Art. 61 der Bundesverfassung, daß in dem ganzen Bundesgebiete
die gesamte preußische Militärgesetzgebung ungesäumt einzuführen
sei, mit alleiniger Ausnahme der Militärkirchenordnung. Die hier-
durch gewonnene Rechtseinheit sollte aber in formeller Hinsicht nur
eine provisorische sein; durch ein »umfassendes Bundes-Militär-
gesetz« sollte die definitive Kodifikation des Militärrechts im ver-
fassungsmäßigen Wege der Bundesgeseizgebung erfolgen. Art. 61,
Abs. 2. Dem Geltungsgebiet der preußischen und der Bundes-Militär-
gesetzgebung trat Südhessen durch die Militärkonvention vom 7. April
1867, Art. 2 hinzu ?); ferner Baden und Württemberg durch die Bünd-
1) Der Gefahr, daß durch übereinstimmende Mehrheitsbeschlüsse des Bundesrates
und Reichstages die preußischen Militärgesetze und Einrichtungen gegen den Willen
Preußens Veränderungen erlitten, wurde dadurch vorgebeugt, daß in Art. 5, Abs. 2
der Bundesverfassung dem Präsidium, d. h. dem König von Preußen, ein Veto ein-
geräumt wurde.
2) Glaser, Archiv I, Heft 3, S. 54; Thudichum, Verfassungsrecht des
Nordd. Bundes S. 397 fg.