IV
Wollen wir die wirkenden Kräfte, die maßgebenden Fac-
toren unfrer historischen Entwickelung ans Licht stellen, so können
wir die Kenntniß individueller Eigenart der deutschen Stämme,
Landschaften, Stammestheile nicht entbehren. Die Aufmerk-
samkeit der Gelehrten war bisher meist nur den niedrigeren
Problemen dieser Gattung zugewendet. Was sich für Charak-
teristik einzelner Stämme ausgibt, sind in der Regel wenige,
unzuverlässig beobachtete, ohne Wahl und Prüfung zusammen-
geraffte Züge des gegenwärtigen Zustandes. Selten hat man
die Einwohnerschaft eines bestimmten Landstriches als ein Indi-
viduum betrachtet und seine Schicksale wie die allseitige Ent-
faltung einer einheitlichen Persönlichkeit darzustellen gesucht.
Hier kam dazu, daß es sich um eine Provinz handelte, die
für das gesammte Deutschland merkwürdig viel geleistet hat.
Die Hoffnung war nicht unbegründet, daß eine confequente
Durcharbeitung des Steffes zu Forschungen und Untersuchun-
gen zwingen würde, welche der deutschen Geschichte selbst zu
gute kommen und manche Lücken in ihr ergänzen müßten. Das
Problem der Betheiligung einzelner Provinzen an dem natio-
nalen Culturleben ließ sich auf diese Weise bestimmter und
fruchtbringender als durch theoretische Erörterungen aufstellen.
Es galt freilich zunächst nur Thatsachen zu sammeln, die
zerstreuten Züge zu einem anschaulichen Bilde zu vereinigen,
nichts Wesentliches zu übergehen und als oberste Frage streng
im Auge zu behalten: worin besteht die Eigenthümlichkeit und
woher rührt sie?
Diese Fragen allseitig und vellständig zu beantworten,
das mannigfaltige Material zu generellen Folgerungen zu ver-
werthen und auf ein einfaches Resultat zu bringen; das konnte
so wünschenswerth es auch wäre, weder der Zweck noch die
Aufgabe des vorliegenden Buches sein. —