Full text: Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18

440 XIX. Der Friedensvorschlag des Papstes und der „englische Friedensfühler“ 
  
  
wurde deshalb sowohl den Ministern und Staatssekretären, wie auch den Herren von 
der Obersten Heeresleitung und der Marine nur die Tatsache mitgeteilt, daß von 
neutraler Seite beim Reichskanzler ein Schritt unternommen worden sei, der auf einen 
englischen Friedensfühler schließen lasse, und daß die Wiederherstellung der territorialen 
Integrität und der Souveränität Belgiens als Voraussetzung für das Betreten dieses 
Weges bezeichnet werde. Dagegen wurde weder im Kronrat, noch in den vorher 
und nachher stattgehabten Besprechungen eine Mitteilung über den Weg gemacht, auf 
dem die Angelegenheit an die politische Leitung gelangt war, noch auch über den Weg, 
auf dem die Angelegenheit weiter verfolgt werden sollte. 
Im Kronrat vom 11. September beantragte ich mit Unterstützung des Staatssekre- 
tärs des Auswärtigen die kaiserliche Ermächtigung, gegebenenfalls erklären zu dürfen, daß 
Deutschland zur Wiederherstellung der territorialen Integrität und der Souveränität 
Belgiens bereit sei. Nachdem der Kaiser die Vertreter der Armee und der Marine aufge- 
fordert hatte, ihre Ansichten über die für die Beurteilung der Frage in Betracht kommen- 
den militärischen und maritimen Gesichtspunkte vorzutragen, sprach sich der Chef des 
Admiralstabes dafür aus, daß die flandrische Küste in deutscher Hand bleiben müsse. 
Die Vertreter der Obersten Heeresleitung legten die militärischen Gründe dar, die 
in Rücksicht auf die exponierte Lage des für die Kriegführung durch seine kriegswirt- 
schaftlichen Erzeugnisse unentbehrlichen rheinisch-westfälischen Industriegebiets und die 
spätere Verteidigungsmöglichkeit des Reiches die militärische Kontrolle über die Festung 
Lüttich und Umgebung erwünscht scheinen ließen. Der Kaiser entschied im Sinne 
meines Antrages, mit dem Vorbehalt einer erneuten Prüfung, falls der Verzicht auf 
Belgien nicht bis zum Jahresende den Frieden sichern und so einen neuen Kriegs- 
winter ersparen sollte. 
Auf dieser Grundlage habe ich den Staatssekretär des Auswärtigen beauftragt, 
seinen neutralen Vertrauensmann zu instruieren. Dem neutralen Vertrauensmann 
wurde in meinem Auftrage weiter eröffnet, unsererseits sei Voraussetzung für Ver- 
handlungen mit England die Erhaltung unseres Besitzstandes vor dem Kriege ein- 
schließlich der Kolonien, der Verzicht auf Entschädigungen und die Abstandnahme von 
dem Wirtschaftskrieg nach dem Kriege. 
Der von dem Reichsministerpräsidenten Bauer veröffentlichte Briefwechsel zwischen 
mir und dem Feldmarschall v. Hindenburg vom 12. und 15. September 1917, der 
übrigens in der amtlichen Wiedergabe um die für das Verständnis wichtigen Schluß- 
sätze meines Schreibens gekürzt ist, ändert an diesem Sachverhalt nichts. Es handelte 
sich bei den militärischen ebenso wie bei den wirtschaftlichen Wünschen hinsichtlich 
Belgiens nicht um Vorbehalte, die gegenüber England gemacht, sondern um Ziele, 
die im Verhandlungen mit Belgien selbst angestrebt werden sollten. Die dem Briefe 
des Feldmarschalls beigefügte Denkschrift des Generals Ludendorff vom 14. September 
1917 hatte ohnedies nur den Zweck einer schriftlichen Niederlegung seiner im Kronrat 
gemachten Ausführungen, wie das auch aus ihren Eingangsworten deutlich hervorgeht. 
Die Aktion des neutralen Vertrauensmannes“) ist durch diese Dinge in keiner 
Weise eingeengt oder erschwert worden. Sie führte jedoch schließlich zu einem durchaus 
negativen Ergebnis; es stellte sich heraus, daß auf der von der deutschen politischen 
Leitung umschriebenen Grundlage, die durchaus der Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917 
entsprach, bei der britischen Regierung keinerlei Geneigtheit zu Friedensverhandlungen 
bestand. Daraus ergab sich, daß der Kardinal--Staatssekretär und der apostolische 
Nuntius in München der Mitteilung des Foreign Office an den britischen Gesandten 
beim Vatikan eine dieser Mitteilung nicht zukommende Bedeutung beigelegt hatten. 
Ich weise somit die gegen mich erhobenen Vorwürfe zurück, in meiner Eigenschaft 
als als Reichskanzler irgend etwas versäumt zu haben, was bei dem Vorliegen einer ernst- 
") Siege- e Ziffer 11 und Nachtrag zu Abschnitt XIX S. 447. Außerung des Staats- 
sekretärs v. Kühlmann vor dem Schöffengericht in Berlin am 13. Dezember 1920. Der 
Versuch, Herrn v. Kühlmann schon im August 1919 zum Sprechen zu bewegen, war 
erfolglos geblieben. Der Verfasser.
	        
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