g 10. Die Rechtsstellung des Königs. 71
schriften in diesem Sinne bestimmt: Trauergeläute zwei Wochen lang, Trauergottesdienst
in allen christlichen Kirchen und Einstellung aller öffentlichen Musik, aller öffentlichen
Lustbarkeiten und Schauspielvorstellungen bis zum Ablauf des dritten Tages.:s)
2. Hinter diesen äußerlichen Dingen steckt nun der eigentliche Kern, der beson-
dere Ehrenstand des Königs, der eine höhere rechtliche Wertung seiner Person,
seines menschlichen Daseins bedeutet. Auch hier können wir nicht sogleich mit der „Heilig-
keit und Unverletzlichkeit“ beginnen; es liegt zunächst noch anderes darum herum.
Vor allem sehen wir hier den verstärkten Schutzwall, mit welchem das Strafrecht
seine Person umgibt: schwerere Gewalttat gegen ihn gilt gleich einem Angriff auf den
Bestand des Staates selbst, als Hochverrat (Stf.G.B. 58/80, §5 81), Tätlichkeiten und Be-
leidigungen, welche an ihm verübt würden, sind mit besonders strenger Ahndung bedroht
(Stf. G. B. § 94 ff). Viel bezeichnender ist eine innere Linie, die sich um die Person des
Fürsten zieht: sein eigenartiges Verhältnis zu der staatlichen Rechtsordnung.
Diese Rechtsordnung und folglich auch die obrigkeitlichen Maßregeln, zu denen sie ermächtigt,
sind zum großen Teil nicht auf ihn anwendbar. Dos ist auch noch nicht die
Heiligkeit und Unverletzlichkeit selbst, sondern das ist bei dieser schon vorausgesetzt, still-
schweigend, als selbstverständlich.
Es ist notwendig, daß man sich über dieses besondere Verhältnis des Königs zu Recht
und Gesetz klar werde. Er ist nicht legibus solutus. Im Gegenteil: die Verfassung hat
es geradezu darauf abgesehen, ihn an ihre Bestimmungen, die ja als Gesetze gelten, und
an die in ihren Formen weiterhin erlassenen Gesetze wirksam zu binden. Das Ver-
fassungsrecht ist auf den König anwendbar, es ist eigens für ihn gemachtes Recht.
Was aber nun weiter folgt, gilt grundsätzlich nicht für ihn. So war es im älteren
Staatswesen, wo der Fürst noch ganz allein Gesetze gab; da gab er sie selbstverständlich für
die anderen, für die Untertanen, er machte Untertanenrecht; — mit einer großen
Ausnahme: wo er „als Privatmann" erschien, wollte er auch als Privatmann
behandelt sein; da wurde dann das gewöhnliche Recht für ihn wirksam und die eigenen
Gerichte konnten über ihn Recht sprechen.20) Im übrigen aber war Untertanenrecht
nicht auf ihn anwendbar. Auch durch Einführung der Verfassung hat sich das nicht
geändert; denn der König ist dadurch nicht Untertan geworden und die Absicht dieser Rechts-
ordnungen zielt nach wie vor nur auf solche.
Es ist also ganz unzulänglich, hier bloß davon zu reden, daß der König dem Strafrecht
nicht unterliegt, oder daß er nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.??) Die Be-
freiung beruht nicht auf zusammengeworfenen Einzelbestimmungen, sondern auf ein-
heitlichen, geschichtlich überlieferten Grundauffassungen von der Stellung des Fürsten
25) Ges. vom 25. April 1904. Die früheren Bestimmungen hatten die Trauer zeitlich weiter
ausgedehnt und namentlich die Einstellung der öffentlichen Lustbarkeiten während dreier Wochen
befohlen (Mandat vom 16. April 1831). Das neue Gesetz bestimmt übrigens in § 6, daß beim Ab-
leben des deutschen Kaisers alles entsprechende Anwendung findet.
26) Häberlin, Teutsch. Staats-R. III S. 490, Note: „Man macht zwar den Einwurf:
der Regent gebe nur die Gesetze für die Staatsbürger, ohne sich daran zu binden. Allein der
Regent ist allerdings als ein Mitglied des Staates zu betrachten . und insofern der Regent Privat-
geschäfte unternimmt, gleich anderen Privatpersonen zu beurteilen.“ — Wir werden von dieser
noch fortbestehenden Rechtseinrichtung unter III genauer zu handeln haben. «
27) Bülau, Verf. u. Verw. 1 S. 64; Milhauser, Staats-R. I S. 97, Opitz,
Staats-R. I S. 157. Die sächsischen Staatsrechtslehrer folgen übrigens hierbei nur ziemlich
allgemein gebrauchten Formeln.