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Militär-Vorlage in demselben zur zweiten Berathung stand. Unge—
heuer war der Andrang des Publikums zu dieser Sitzung, unbeschreib-
lich der Jubel, mit dem sowohl Graf von Moltke, als auch der wenige
Tage vorher von Friedrichsruh nach Berlin zurückgekehrte Fürst von
Bismarck auf ihrem Wege zum Reichstagsgebäude und vor demselben
von der nach Tausenden zählenden Volksmenge begrüßt wurden. In
den Räumen des Reichstagsgebäudes zeigte sich ein bewegtes Leben.
Die Tribünen waren überfüllt, die Plätze des Hauses sowie der Tisch
des Jundesrahs zahlreich besetzt. Eine große Zahl von Anträgen
lagen dem Hause vor; u. A. auch in letzter Stunde noch ein Antrag des
Grafen von Ballestrem und Genossen, welcher die Friedens-Präsenz-
stärke für drei Jahre auf 441200, für das nächste Jahr aber in voller
Höhe auf 468 409 Mann bewilligen wollte.
Nach Eröffnung der Sitzung durch den Präsidenten von Wedell-
Piesdorf trat das Haus in die Diskussion über den nach den Beschlüssen
der Kommission gar nicht mehr existirenden S. 1 ein. Der Referent,
Abgeordneter Frhr. von Huene (Centrum), sah sich in Folge dessen
nur in der Lage, den Reichstag auf den vorliegenden gedruckten Kom-
missionsbericht zu verweisen, während es dem Korreferenten, Abgeord-
neten Dr. Buhl, oblag, über die zur Vorlage eingegangenen Petitionen
zu berichten. Unter Hinweis auf die wirthschaftliche Lage waren 7
Petitionen gegen die Vorlage eingegangen. Dagegen wünschten 198
Petitionen die möglichst rasche und unverkürzte Bewilligung der Re-
gierungs-Vorlage. Hierunter waren 52 aus Württemberg, eine große
Zahl aus dem Königreich und der Provinz Sachsen. Von Städten
und Kreisen erwähnen wir: Pforzheim, Leipzig, Halle, Magdeburg,
Kreis Mettmann u. s. w. Diese Petitionen waren von Vertretern der
verschiedensten Parteirichtungen ausgegangen. Betreffs der Befreiung
der Theologen vom Militärdienste lagen 55 Petitionen vor, darunter
eine Anzahl von protestantischen Geistlichen, welche gegen die Befreiung
petitionirten, desgleichen eine von Studirenden der Theologie der Uni-
versität Bonn und 9 anderer Universitäten.
Darauf erhielt der Abgeordnete Graf von Moltke das Wort und
außerte sich wie folgt:
Meine Herren! Niemand von uns täuscht sich wohl über den Ernst der
Zeit, in welcher wir uns befinden. Alle größeren europäischen Regierungen
treffen eifrigst Vorkehrungen, um einer ungewissen Zukunft entgegenzugehen.
Alle Welt fragt sich: werden wir den Krieg bekommen? Nun, meine Herren,
ich glaube, daß kein Staatslenker freiwillig die ungeheure Verantwortung
auf sich nehmen wird, die Brandfackel in den Zündstoff zu werfen, welcher
mehr oder weniger in allen Ländern angehäuft ist. Starke Regierungen
find eine Bürgschaft für Frieden. Aber die Volksleidenschaften, der Ehrgeiz
der Parteiführer, die durch Schrift und Wort mißgeleitete öffentliche Mei-
nung, das Alles, meine Herren, sind Elemente, welche stärker werden können,
als der Wille der Regierenden; haben wir doch erlebt, daß selbst Börsen-
interessen Kriege entzündeten. Wenn nun in dieser politischen Spannung