Kriegsausbruch 45
gierung nach Nisch. Ohne auf Meldungen des Auswärtigen Amts zu
warten, befahl er, die Anker zu lichten. Am 27. Juli traf er im Neuen
Palais bei Potsdam ein. Auf die obengenannte Meldung, daß die volle
russische Mobilmachung gegen Deutschland nunmehr feststehe, begab
er sich nach Berlin zum Reichskanzler. General von Moltke bestieg das
Auto, um ihn dort zu erwarten. Aber schon unterwegs überholte ihn
in scharfer Fahrt der Zug der kaiserlichen Kraftwagen, im ersten das
Kaiserpaar. Die Fahrt ging nicht zum Reichskanzlerpalais, sondern
zum Königlichen Schloß.
Im Marmorsaal fand die Besprechung, besonders über die mili-
tärische Lage, statt. Der schon beginnende Aufmarsch der russischen
Streitkräfte beschwor für Deutschland eine außerordentliche Gefahr her-
auf. Der Vorteil, den das deutsche Heer vor den weit verteilten und
zum Aufmarsch nur auf wenige Bahnlinien angewiesenen russischen
Heer voraus hatte, schwand täglich und stündlich. Besonders für den
Fall, daß Deutschland einen Krieg nach mehreren Fronten zu führen
haben würde, wuchs die militärische Gefahr ins Ungeheuere. Die Nach-
richten aus Frankreich meldeten zwar nur militärische Maßnahmen, wie
sie schließlich auch Deutschland bereits durchzuführen gezwungen war:
Rückberufung der Urlauber, Vereinigung der Truppen in ihren Stand-
orten und ähnliches. Die politischen Nachrichten aus Frankreich ließen
aber keinen Zweifel darüber, daß der Generalstab mit einem Jwei-
frontenkrieg zu rechnen hatte.
Die eingehenden Meldungen hielten mich ständig in persönlicher Be-
rührung mit dem Generalstabschef. Ich war Zeuge des Kampfes,
den Friedensneigung und Verantwortlichkeitsgefühl in ihm führten.
Nur unter Aufbietung ungewöhnlicher Willenskraft setzte General von
Moltke sich dafür ein, daß am 31. Juli mittags die „drohende Kriegs-
gefahr“ befohlen wurde. Damit waren vierundzwanzigstündige Vor-
bereitungen für den Fall der Mobilmachung eingeleitet. General von
Moltke berief die Offiziere des Großen Generalstabs im Bibliothekssaal
des Generalstabsgebäudes zusammen, verkündete ihnen die drohende
Kriegsgefahr und fügte hinzu: „Dies bedeutet, wenn die geringe Hoff-
nung auf die Erhaltung des Friedens sich nicht erfüllt, für morgen die
Mobilmachung und damit den Krieg. Nun gehen Sie jeder an Ihre
Arbeit, das Vaterland weiß, daß es sich auf den Generalstab verlassen
kann.“ Die letzten Worte wurden durch die innere Ergriffenheit des