Kriegsausbruch 51
Diese Umstände wirkten auch auf den Nachrichtendienst zurück. Auch
in ihm verlegte sich zunächst das ganze Schwergewicht an die Front.
Von den wenigen im Nachrichtendienst ausgebildeten Offizieren wurden
die besten zur Belohnung für Verwendung im Truppengeneralstab frei-
gegeben, die übrigen den Armeeoberkommandos als Nachrichtenoffiziere
zugeteilt. Es herrschte die Auffassung, daß auch der geheime Nachrichten-
dienst, die Spionage, auf den Kriegsschauplätzen vorwiegend das Feld
seiner Betätigung finden werde. Bei dem schnellen Verlauf der ersten
Kriegsereignisse im Westen, wo zunächst die militärische Entscheidung
gesucht wurde, herrschte aber gleichzeitig bei den Armeeoberkommandos
starker Zweifel über die Möglichkeit und nutzbringende Tätigkeit einer
Spionage. Dieses ging so weit, daß ein Armeekommando beim Vor-
marsch durch Belgien den Nachrichtenoffizier in Lüttich als unnötigen
Ballast zurückließ. Nirgends fanden zunächst diese Offiziere besondere
Verwertung oder Unterstützung. Es war in einem Heere, in dem das
Subordinationsgefühl besonders stark ausgebildet war, auch nicht ohne
Bedeutung, daß der Chef des Nachrichtendienstes im Dienstalter der
weitaus jüngste Ressortchef der Obersten Heeresleitung und auch wesent-
lich jünger als die Generalstabschefs in der Front und die Abteilungs-
chefs des Kriegsministeriums war, und daß auch die Zivilbehörden an
eine autoritativere Vertretung des Generalstabs als die durch einen
Major gewöhnt waren. Ich muß auch diese persönlichen Momente her-
vorheben, weil sie mit dazu beitragen, glaubhaft erscheinen zu lassen,
wie schwer es der militärische deutsche Nachrichtendienst gehabt hat, sich
durchzusetzen und damit es glaubhaft wird, daß er an äußerem Ausmaß
so erheblich hinter dem zurückbleiben mußte, was der Feind nach langer
Friedensschulung und gefördert durch kampf= und siegentschlossene Staats-
männer leisten konnte. Im Gefühl mangelnder Rüstung im Nach-
richtendienst war zwar versucht worden, schon im Frieden nach der Art
großer strategischer Kriegsspiele die Anforderungen zu ergründen, die
der Kriegsfall an diesen Dienstzweig stellen würde. Diese theoretischen
Studien hielten sich aber auch im taktischen und strategischen, jedenfalls
im militärischen Rahmen. Mit wirtschaftlicher und politischer Erkun-
dung und Beeinflussung feindlicher Staaten beschäftigten sie sich nicht,
ein Welt-Nachrichtendienst war niemals Gegenstand auch in der theo-
retischen Betrachtung gewesen. Die Wirklichkeit stellte deshalb jede Phan-
tasie in den Schatten.
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