22 Der Nachrichtendienst der Entente und die deutsche Abwehr.
stehen mehrerer Kriegsministerien eine Zersplitterung bei Durchführung
der Aufgabe zu erwarten, die nur von einer Stelle aus gelöst werden
konnte. Da eine solche von Reichswegen nicht zu erhalten war, blieb die
Aufgabe in der Hand des Generalstabes. Von Vorteil war es, daß damit
die Leitung der Abwehr von einer Stelle aus erfolgte, die den Nachrichten-
dienst, seine Ziele und Wege kannte und deshalb mit der nötigen Über-
zeugungskraft und ohne Übertreibung dem feindlichen entgegenarbeiten konnte.
Neben der Zersplitterung und Unzulänglichkeit seiner Polizei bot das
große Durchgangsland Deutschland dem Nachrichtendienst der anderen
Militärstaaten auch sonst die besten Bedingungen. Zugangsmöglichkeiten
von allen Seiten, ein ausgedehntes Bahnnetz, in weiten Grenzgebieten
eine Bevölkerung, die national verhetzt oder unzuverlässig war, durch die
allgemeine Wehrpflicht militärisches Verständnis bei fast jedermann, zu-
nehmendes Wohlleben, unzureichende, oft unerhört geringe Besoldung von
Unterbeamten in größter Vertrauensstellung, mangelnde Auffassung für
die Notwendigkeit der Wahrung von Staatsgeheimnissen in allen Schichten
des Volkes und die daraus folgende mangelnde Verschwiegenheit in allen
Dienstgraden des Heeres, das sind die Gründe für den Erfolg des feind-
lichen Nachrichtendienstes schon vor dem Krieg und übel, mit denen belastet
wir in den Krieg eintraten.
Unter den in den letzten sieben Jahren vor dem Krieg von bürgerlichen
Gerichten abgeurteilten 135 Personen befinden sich 107 Deutsche. Von
diesen waren 32 Elsaß-Lothringer. Daneben sind nur 11 Russen, 5 Fran-
zosen, 4 Engländer, 3 Österreicher, 2 Holländer und je ein Amerikaner,
Schweizer und Luxemburger verurteilt worden. Zu der beschämend hohen
Zahl Deutscher kommen noch die von militärischen Gerichten Verurteilten,
die durchweg Deutsche waren. Auch im Kriege hat die Zahl der verur-
teilten Deutschen einen sehr hohen Stand erreicht und die der Ausländer
überwogen. Dabei muß auch hier noch einmal darauf hingewiesen werden,
daß die wenigen Fäden, die dem deutschen Nachrichtendienst zu feindlichen
Staatsangehörigen zu spinnen gelungen war, sämtlich bei Kriegsausbruch
zerrissen, und daß es Jahre hindurch nicht möglich war, neue herzustellen.
Der Entente gelang es dadurch, daß sie sich kaltblütig in nichts von ihrem
Ziel ablenken ließ.
Die Schulung, die unser Abwehrdienst im Kampfe gegen den scharf
vordrängenden Entente-Nachrichtendienst während des dem Kriege vorauf-
gehenden Jahrzehnts erfuhr, war gut. Schon zeigte sich auch die doppelte
Richtung, in der unsere Abwehr sich betätigen mußte: im Kampf gegen den
feindlichen Nachrichtendienst an sich und im Kampf gegen das, was diesem
aus unseren eigenen Reihen entgegenwuchs.