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diese hatte in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wiederum in
einer schreckenerregenden Weise überhand genommen.
Natürlich konnte auch der Aberglaube seine volle Herrschaft
ausüben, denn dieser ist gern da zu Hause, wo neben ihm die Un—
wissenheit wohnt. Es ist unglaublich, was die Leute damals zu sehen
und zu hören meinten. Da wollten manche gehört haben, daß die
an der Pest Verstorbenen im Grabe mit den Zähnen knirschten, was
natürlich als eine neue Unglücksprophezeiung gehalten wurde, weshalb
sich der Aberglaube in seiner Rohheit so weit hinreißen ließ, daß man
den Pestleichen den Kopf mit einem Grabscheite abstieß. Nordlichter
galten damals nicht als eine großartige, bewunderungswürdige Natur-
erscheinung, sondern man sah in ihnen feurige Wagen, ferner ganze
Heere, welche mit Spießen und Schwertern zum Kampfe heranzogen
und welche Krieg und Blutvergießen auf Erden ankündigten.
Für einen außerordentlichen Unglücksboten galt damals allgemein
der „Dresdner Mönch“. Von diesem angeblichen Gespenst wollte
man Folgendes wissen: War irgendwo ein Unglücksfall, eine schwere
Krankheit, ein Todesfall u. dergl. in der kurfürstlichen Familie im
Anzuge, so hielt vorher ein Mönch im Schlosse seinen Umgang. Vier
Jahre lang erfüllte dieser Mönch selbst die Schildwachen mit Todes-
angst. In den Jahren 1694 bis 1698 wollten die Wachen diesen
Mönch bald im Schlosse, bald an den Stadtthoren gesehen haben.
Eine einzige, gründliche Untersuchung, ein einziger, muthiger Angriff
würde Klarheit in diese Spukgeschichte gebracht haben, aber die
Schildwachen verloren in ihrer Herzensangst alle Besonnenheit und
Ueberlegung.
Wehe denjenigen, namentlich den alten Frauen, welche das Unglück
hatten, für Hexen gehalten zu werden. Gefängniß, Folter, selbst der
Tod harrte dann ihrer. So wurde z. B. ein seines Amtes entlassener
Geistlicher, welcher zuweilen an Geisteskrankheit litt, angeklagt, mit
dem Teufel ein Bündniß geschlossen zu haben. Anstatt ihn in eine
Heilanstalt zu bringen, schleppte man ihn ins Gefängniß, spannte ihn
auf die Folter und dann gestand er unter den entsetzlichsten Qualen
allerdings, was man gern hören wollte, worauf er zum Tode ver-
urtheilt und (1665) auf dem Marktplatze zu Camenz enthauptet wurde.
Jetzt würde man bei dergleichen kranken Personen wenigstens
einen Versuch mit ihrer Heilung machen; aber im 17. Jahrhunderte
war man in der Heilkunst noch weit zurück. So wurde z. B. (im
Jahre 1673) den Apothekern in Freiberg vorgeschrieben, daß in ihren
Apotheken immer Folgendes vorräthig sein müsse: Gedörrte Kröten,
gebrannte Igel, Erdkrokodile, Hirschkrähen, Riemen von Menschen-
haut, zubereitete Menschenbeine, Pferdewarzen, Schlangenhäute,
Schlangenfett 2c. —