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einer Zuschrift über sein damaliges Verhalten gelesen hatte.
Es war darin gesagt worden, daß sowohl König Wilhelm,
als er selbst, das Bedürfnis empfunden hätten, die französische
Empfindlichkeit tunlichst zu schonen. Bismarck bestritt dies,
weil die kriegerische Auseinandersetzung mit Frankreich, sowohl
zur Aufrechterhaltung der Stellung Preußens in Europa,
wie zur Erlangung der deutschen Einheit nicht zu umgehen war.
Den historischen Vorgang seiner Redigierung der Emser
Depesche schilderte Bismarck folgendermaßen: „Moltke und
Roon waren bei mir gerade zu Tische, als der Abeken'sche
Text über die Vorgänge in Ems einlief. Ich habe ihn den
beiden Generalen vorgelesen, und der Eindruck war der, daß
die beiden alten Blutvergießer lange Gesichter machten und
Messer und Gabel niederlegten, der Appetit war ihnen ver-
gangen. Da habe ich sie gefragt, ob das Heer in der Lage
sei, mit Sicherheit auf Erfolg den Krieg gegen Frankreich
aufzunehmen, was Beide eifrigst bejahten. Daraufhin habe
ich mich mit dem Abeken'schen Text an einen Nebentisch ge-
setzt und denselben so formuliert, wie er später als „Emser
Depesche“ in der europäischen Presse veröffentlicht worden
ist. Als ich die neue Fassung den beiden Generalen vorge-
lesen, nahmen sie ganz vergnügt Messer und Gabel wieder
auf und setzten die unterbrochene Mahlzeit mit sichtlichem
Behagen fort. So war aus der Chamade die Fanfare ge-
worden. "
Tatsächlich war die Kriegserklärung schon in den Verhand-
lungen der französischen Kammer vom 6. Juli enthalten:
ich verweise auf das Zeugnis von Glais-Bizoin und Arago,
die schon damals sagten, daß dies keine Debatte, sondern
eine Kriegserklärung gewesen sei, unterstützt durch die lärmende
französische Presse und Massen-Demonstrationen in der Rich-
tung der bekannten Schlagworte: „Wir müssen die Preußen
unter ein kaudinisches Joch bringen!“ „Wir müssen sie mit
den Flintenkolben im Rücken über den Rhein stoßen ! „La