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letzteren dienen wieder die Ausdrücke
klein, mittel, groß, doch hat Bertillon mit
Rücksicht darauf, daß diese drei oft nicht
ausreichen, noch die vier weiteren „sehr
klein‘, „klein bis mittel‘ („ziemlich
klein‘), „mittel bis groß‘ („ziemlich
groß“) und „sehr groß‘ hinzugefügt.
Was die Form anbelangt, so hat Bertillon
für alle Variationen der einzelnen zur Be-
schreibung gelangenden Teile besondere
bezeichnende Kennworte festgelegt. Bei
der Beschreibung des Gesichtes legt Ber-
tillon das Hauptgewicht auf das Profil-
bild, da dessen Linien fast gar nicht ver-
ändert werden können. Die wichtigsten
Partien sind hier wieder Nase und Ohr.
Bei der Nase wird Wurzeltiefe, Vor-
sprung, Höhe und Breite (letztere in der
Vorderansicht) nach der Größe beschrie-
ben, nach der Form die Grundlinie (auf-
wärts, wagrecht, abwärts) und der Rücken
(eingebogen, gerade, gebogen, kantig,
wellig) sowie alle Besonderheiten; bei
dem Ohre werden die einzelnen Partien
(Ohrrandleiste, Ohrläppchen, untere Ohr-
klappe und Falte) wieder in Unterteile zer-
legt und nach Form und Dimension be-
schrieben. Gerade das Ohr bietet die
besten Merkmale bei sonst ähnlich aus-
sehenden Personen. Beschrieben werden
ferner in ähnlicher Weise Stirn, Kinn,
Kopf in Seiten- und Vorderansicht, Ge-
sicht nach Farbe und Fülle, Augen, Au-
genbrauen, Haare, Bart, Schultern usw.
Sämtliche Bezeichnungen werden in be-
stimmten Abkürzungen oder Zeichen ge-
schrieben. Soll ein Beamter nach der
betr Person fahnden, so lernt er die Per-
sonenbeschreibung wörtlich auswendig,
Ist er in dem Erkennen und Erfassen der
einzelnen Merkmale geübt (für die Beam-
ten bestehen meist besondere Ausbil-
dungskurse), so wird er den Gesuchten
selbst bei verändertem Aussehen sicher
herausfinden. Auch beim Vergleichen
zweier Photographien leistet die Perso-
nalbeschreibung gute Dienste. Um es zu
erleichtern, werden die photographischen
Aufnahmen bei sämtlichen Meßstationen
in derselben Verkleinerung (1/,) und mit-
telst besonderer Apparate möglichst in
derselben Stellung und Haltung aufge-
nommen (s. Photographie).
c. Die besonderen Kennzeichen. Eine
entsprechende Rubrik befindet sich in
jedem Steckbriefe, ist indessen meist gar
nicht oder aber so unbestimmt ausge-
Bertillonsches Identifizierungsverfahren — Berufsrecht der Ärzte.
füllt, daß das „besondere Kennzeichen“
nur einen sehr relativen Wert hat. Nach
dem Bertillonschen Verfahren werden
sämtliche an Armen und Händen, am Ge-
sicht und Hals, auf Brust und Rücken und
an Beinen und Füßen befindlichen Nar-
ben, Leberflecke, Tätowierungen usw ge-
nau beschrieben, und zwar nach Art,
Form, Größe, Richtung und Lage. Auf
die genaue Bezeichnung der letzteren wird
der größte Wert gelegt. Es heißt bei-
spielsweise: „eine krumme, unten ausge-
höhlte, 5cm lange, schräg nach außen
laufende Narbe, 2cm unterhalb des Ellen-
bogens, vorn‘ unter der Rubrik „rechter
Arm“, — „kleiner Leberfleck, 18cm unter
dem siebenten Halswirbel, 10cm rechts
von der Wirbelsäule‘ unter der Rubrik
„Rücken‘ usw. Da, wie Bertillon betont,
jeder Mensch mindestens 8 bis 12 Nar-
ben, Leberflecke und sonstige besondere
Kennzeichen aufweist, ermöglicht ihre
genaue Beschreibung schon allein eine zu-
verlässige Rekognoszierung und vermag
bei gleichzeitiger Messung und Personal-
beschreibung jeden noch etwa bestehen-
den Zweifel an der Identität der in Frage
kommenden Person auszuschließen. In
letzter Zeit ist der Bertillonage in dem
Fingerabdrucksverfahren (s. d.) ein Geg-
ner entstanden. London hat die Bertillo-
nage schon wieder völlig abgeschafft. Die
meisten Staaten verwenden beide Verfah-
ren nebeneinander. Das Bertillonsche
„portrait parl&‘“ wird freilich durch das
Fingerabdrucksverfahren nie verdrängt
werden können.
Alphonse Bertillon Instructions eignaletiques, iden-
tificatlon anthropometrique, Paris 91; deutsch: v. Sury
Das anthropometrische Signalement, Bern und Leipzig 95;
A. Bertillon Die gerichtliche Photographie, Halle a.S.95;
Otto Klatt Die Körpermessung der Verbrecher, Berlin 02;
Niceforo-Lindenau Die Kriminalpolizei und ihre
Hilfswissenschaften, Gr.-Lichterfelde-Ost 09. Anuschat.
Berufskonsnin s. Konsuln.
Berufsrecht der Ärzte. Der Arzt
kommt nicht selten in die Lage, an dem
Patienten Eingriffe vorzunehmen, von de-
ren Bedeutung und Ergebnis der Betrof-
fene keine oder nur eine unzulängliche
Vorstellung hat: „Die Operation verlief
glücklich; der Patient starb an den Fol-
gen.‘ Dieser Zwiespalt legt es dem Pa-
tienten oder seinen Angehörigen nahe,
dem Arzte die Verantwortung für miß-
lungene oder für nicht erfolgreiche Ein-
griffe aufzubürden, — ein Verhalten, das
um so weniger gerechtfertigt erscheint,
als der Arzt, auch bei gewissenhaftester
Tätigkeit und glücklichster Vereinigung