8 Fünftes Buch. Erstes Copitel.
Frankreich und dem Hause Oesterreich hörte nicht auf; aber Oesterreich,
das nun erst nach Jahrhunderte langem Kampfe sich Ungarn unter-
worfen und einen großen Theil der spanisch-italienischen Landschaften
erworben hatte, überdies die erste Stelle in dem deutschen Reiche ein-
nahm, bildete auch von Spanien getrennt eine große europäische Macht,
den meisten anderen überlegen, auch den mächtigsten ebenbürtig. Wenn
Frankreich nicht mehr fähig war, die Freiheit von Europa und die
Unabhängigkeit von Deutschland jeden Augenblick zu gefährden; so
behauptete es doch nicht allein seine alten Grenzen unversehrt, sondern
auch einen guten Theil der über das deutsche Reich gemachten Er-
oberungen.
Nothwendig vollzog sich mit diesen Ereignissen auch ein Wechsel
in den allgemeinen Tendenzen, welche bis dahin den Zeiten ihr
Gepräge gegeben hatten.
Für Brandenburg-Preußen trat die Frage ein, ob es sich zwischen
den weltbeherrschenden Mächten, die noch immer, zum Theil in offenem
Kampf, zum Theil in lebendigstem Gegensatz gegeneinander begriffen
waren, selbständig erhalten und zu wirklicher Macht erheben würde.
Es wäre ohne Zweifel ein nützliches historisches Unternehmen, die
politischen Verwickelungen dieser Epoche, von denen eine immer in die
andere eingreift, in ihrem allgemeinen Zusammenhang zu erforschen
und darzustellen. Dazu aber wäre die Benutzung der Archive aller
vorwaltenden Mächte und sogar der Höfe zweiten Ranges erforder-
lich. Dann erst würde die Stellung der einzelnen Staaten in den
verschiedenen Momenten in ihrem rechten Lichte erscheinen und das
politische Verhalten eines Jeden sich beurtheilen lassen. Uns kann es
nicht in den Sinn kommen, etwas Aehnliches in Bezug auf die all-
gemeinen Verhältnisse zu versuchen und etwa die Abwandlungen der
preußischen Politik in jedem Zeitpunkt nach dem Wechsel der Umstände
eingehend zu erörtern. Nur die Hauptmomente dürfen wir hier in
Erinnerung bringen.
Noch war, wie angedeutet, der Utrechter Friede keineswegs das
geltende Gesetz in Europa geworden, auch nicht in seinen allgemeinsten
Bestimmungen.
Kaiser Carl VI hatte sich noch nicht zur Verzichtleistung auf die
spanische Succession entschlossen. Er gab dem Sohne, der ihm ge-
boren wurde, den Titel eines Prinzen von Asturien: König Philipp V
bezeichnet er in seinen intimen Briefen als Herzog von Anjou. Da-
gegen war Philipp V weit entfernt davon, auf die Herstellung der
alten spanischen Macht selbst und auf die eventuelle Succession seiner