Erwerbung von Ostfriesland. 237
eine Abtheilung des in Wesel garnisonirenden preußischen Militärs
bei ihm ein.
Es waren nur 500 Mann, aber ihr bloßes Erscheinen bewirkte,
daß die dänische Einquartierung, welche die Ansprüche der Prinzessin
vertheidigen zu wollen geschienen, in größter Eile das Land verließ:
die kaiserliche Sauvegarde, der die Einwohner jetzt Obdach versagten,
löste sich auf; Hauptmann und Gemeine legten ihre Dienste nieder.
Ungehindert von fremder Einwirkung und nicht mehr getrennt
durch die alte Parteiung konnten sich nun die Stände versammeln.
Es war das erste Mal seit langen Jahren, daß sie sich sämmtlich
wiedervereinigten. Der Adel, die Abgeordneten der Städte und Bauern-
schaften, die letzten 180 Köpfe stark, fanden sich zum 20. Juni in
Aurich ein.
Die erste Frage war die bei allen ständischen Huldigungen her-
gebrachte, ob zuerst die Beschwerden abgethan oder die Reversalien
ausgetauscht werden sollten. Die Beschwerden waren unabsehlich, und
die Zeit, welche ihre Erledigung gekostet hätte, würde leicht die An-
sprüche der Nachbarn erweckt haben. Cocceji und Homfeld bewirkten,
mit Unterstützung der Ritterschaft, daß zuerst das Homagialgeschäft
vorgenommen wurde ½).
Der König versicherte den Ständen in seinem Revers, daß er
sie sammt und sonders bei ihren wohlhergebrachten Privilegien, guten
Gewohnheiten und alten Rechten zu schützen königlich entschlossen sei.
Die Stände versprachen, ihn als ihren Fürsten und Herrn zu erkennen,
ihm treu und gehorsam zu sein, nach Inhalt ihrer Accorde. Diese
Accorde, wie sie vom Nordner Landtagsschluß 1620 bis zu dem in
Aurich 1699 zu Stande gekommen, wurden vom König in allen ihren
Punkten und Clauseln „wohlwissentlich und wohlbedächtlich“ bestätigt.
Man hatte bisher gestritten, ob Ostfriesland reichsconstitutions-
mäßig oder nach den Landesaccorden regiert werden solle. Das erste
Resultat der preußischen Besitznahme lag darin, daß die kaiserlichen
Decrete nicht mehr gelten, sondern die Verfassung auf die alten Ver-
träge gegründet oder vielmehr, daß diese durch einen neuen mit der
neuen Landesherrschaft bestätigt werden sollten.
Bei der Abfassung des neuen Vertrages war das Verfahren,
daß die Stände ihre vornehmsten Forderungen schriftlich übergaben.
1) Coccei, 23. Juin: la noblesse dont j'ai gagné l'amitié et la con-
fiance m’'a sccondé par son autorité et je ne saurois assez me louer de.
T’assistance du Ce de Fridag, des Barons Wedel, Appel et Coyphausen.